Kritik zu The Second Life – Das zweite Leben

© Real Fiction Filmverleih

2020
Original-Titel: 
The Second Life
Filmstart in Deutschland: 
21.04.2022
L: 
90 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Davide Gambino beobachtet drei Tierpräparatoren bei ihren Vorbereitungen zu ­einer »Taxidermy Championship« und gibt Einblicke in ein vielgestaltiges Handwerk und seine reichen philosophischen Implikationen

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Sowohl beim Besuch eines Zoos als auch bei dem eines naturhistorischen Museums stellt sich die Frage mit zunehmender Dringlichkeit: Vertreter welcher der dort in Käfigen beziehungsweise Vitrinen ausgestellten Arten laufen noch in der freien Wildbahn herum? Anders formuliert: Heftete man an jeden Betroffenen ein Schild mit der Aufschrift »Ausgestorben«, wandelte man dann nicht alsbald wie durch eine Totenstadt? Sicher, das gäbe einem zu denken. Aber folgte daraus auch Tun?

Davide Gambino jedenfalls hat das Tun im Sinn, wenn er in seinem Dokumentarfilm »The Second Life« immer mal wieder zwischen dem toten, auszustopfenden und dem immerhin lebendigen, dafür allerdings eingesperrten Tier hin und her schneidet. Denn seine Erzählung von der Attrappe, dem Präparat, zielt auf das große Ganze. Vergleichbar dem Sinnen und Trachten eines jeden Taxidermisten, der etwas auf sich hält: nämlich das Charakteristische einer ganzen Spezies in jenem einen Vertreter zu verdichten, der in seiner Werkstätte gelandet ist.

Gambino beobachtet Robert Stein, Maurizio Gattabria und Christophe de Mey, die für naturhistorische Museen in Berlin, Rom beziehungsweise Brüssel arbeiten, bei den Vorbereitungen auf die European ­Taxidermy Championship in Salzburg: Der eine präpariert einen Seeadler, der andere einen Orang-Utang, der dritte versucht sich an einem Tiger. Allen dreien gemeinsam ist die Überzeugung, dass die Distanz zur Natur, in die die Menschheit selbstverschuldet geraten ist, mit Hilfe präparierter Tiere überwunden werden kann. Denn diese suchen nicht das Weite, wenn sie den Menschen sehen, und sie beißen nicht, wenn er sie anfasst. Praktisch. Und freilich ist auch wahr, dass sich in einem guten Präparat die Schönheit der Schöpfung mit der Wehmut über ihre Vergänglichkeit vereinigt.

Insofern ist der Blick hinter die Kulissen, den Gambino ermöglicht, aufschlussreich. Denn es ist auch der Blick auf ein komplexes Wechselspiel zwischen Leben, Tod und Schein, zwischen der Sehnsucht nach Kontakt, die zugleich immer eine nach dem Ursprung ist, und der Frustration über das Nicht-Gelingen, die das eigene existenzelle Unbehaustsein nur einmal mehr schmerzhaft deutlich macht. In den Glasaugen eines Präparats schottet die »Natur« sich endgültig ab gegen ihren Zerstörer.

Einziger Wermutstropfen: Der Text des von Hannes Jaenicke vorgetragenen Voiceovers ist etwas zu pathetisch predigerhaft geraten. Mit einer Stimme, der man den dazu erhobenen Zeigefinger förmlich anhört, betont Jaenicke ein ums andere Mal, dass der Mensch auf dem Holzweg sei, wenn er glaube, er könne so weitermachen wie bisher. Ja, eh. Wenn man aber bedenkt, dass in der Originalversion der ausgestopfte Orang-Utang – sie hieß im übrigen Petronilla und verbrachte ihr gesamtes 40-jähriges Leben in zoologischer Gefangenschaft – zuständig ist für die Artikulation der mahnenden Worte, dann nimmt man Jaenickes bedeutungsschwangeres Tremolo etwas gnädiger in Kauf.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt