MagentaTV/ZDF: »Spy City«
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Entweder Ironie der Geschichte, oder die Produzenten der Serie »Spy City« erlaubten sich ein schelmisches Innuendo: 2014 spielte Dominic Cooper im Vierteiler »Mein Name ist Fleming. Ian Fleming« den Erfinder des Geheimdienstlers James Bond. In »Spy City« verkörpert Cooper einen Agenten im Berlin des Jahres 1961.
Erdacht hat den Stoff der vielseitige Romancier und Drehbuchautor William Boyd, seinerseits eng mit Bond verbunden: Er ist der Verfasser des von den Fleming-Erben beauftragten und 2013 veröffentlichten Bond-Romans »Solo«. Mit Fielding Scott hat Boyd einen eigenen Agentencharakter kreiert. Weit entfernt vom Tausendsassa der 007-Filme, erinnert er eher an Len Deightons Harry Palmer, der unter Aufsicht von Bond-Produzent Harry Saltzman in den Sechzigern in sinistren Agententhrillern kabalierte.
Im Premierenfilm »Ipcress – Streng geheim« verdächtigt Palmer die eigenen Vorgesetzten des Verrats. Im Nachfolger »Finale in Berlin« soll Palmer einen Überläufer aus dem Ost- in den Westteil schmuggeln und beginnt eine Liaison mit der attraktiven Samantha Steel, der er nachhaltig misstraut, auch wenn er mit ihr nachts das Lager teilt. In William Boyds Erzählkosmos nun gibt es gewisse Übereinstimmungen mit den Harry-Palmer-Filmen. »Spy City« beginnt 1960 in Berlin. Fielding Scott soll unter konspirativen Umständen einen ominösen Umschlag zustellen. Plötzlich versucht der Kontaktmann, Scott zu töten, wird aber durch dessen Notwehr selbst zum Opfer. Überraschung: Der Angreifer war seinerseits Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6.
Scott wird suspendiert, dann zur Bewährung erneut in die geteilte Stadt geschickt. Dort soll er unter Beihilfe der Franzosen und US-Amerikaner einen Raketenwissenschaftler nebst Familie in den Westteil bringen. Die Operation wird verraten. Scott hat gute Gründe, die eigenen Vorgesetzten zu verdächtigen. Siehe oben.
Parallel erzählt Boyd die Geschichte des ostdeutschen Liedermachers Reinhart und seiner Westberliner Freundin Eliza, die im MI6-Büro tätig ist und Reinhart zum Wechsel in den Westen drängt, was der ablehnt. Nicht zu vergessen die Französin Severine Bloch – der Scott nachhaltig misstraut, auch wenn er mit ihr nachts das Lager teilt.
Boyd ist erkennbar vertraut mit der Materie. Bei ihm wird der Kopf des britischen Geheimdienstes »C« genannt – wie das reale Vorbild. Ausstattern und Kostümbildnern gelingt es bis hin zu den authentischen Kinoreklamen – »Via Mala« – exzellent, das Berlin der frühen Sechziger nachzustellen. Allerdings stehen zu viele Luxusautos in den Straßen herum. Kleinwagenmodelle fehlen, mit Ausnahme des Käfers. Die Büros sind düster, der Umgang ist kühl, der Krieg eiskalt, aber ein Krieg. »Kann man überhaupt vertrauen?«, fragt Scott einmal und gibt damit die Linie vor. William Boyd weiß spannend zu erzählen, greift auf das bewährte Mittel des MacGuffin – ein belastendes Foto – zurück, aber auch auf allerlei recht durchsichtige Kniffe. So findet Scott bisweilen auf Anhieb eine Person oder einen Ort, ohne Erklärung, wie ihm das mit nur vagen Informationen gelingen konnte. Andere Ungereimtheiten können aus Diskretionsgründen hier nicht genauer benannt werden. Wohl aber die Irrtümer in der Inszenierung: Mehrfach wird ohne Blitz im Dämmerlicht fotografiert. Das war mit dem damaligen niedrigempfindlichen Filmmaterial und lichtschwachen Objektiven schlicht unmöglich. Einen Anachronismus ganz anderer Art stellt die Manier dar, eine Szene zu etablieren, indem die Kamera Frauenbeinen oder -hüften folgt. Heute so unangebracht wie das lachhafte Hitlerbärtchen an einem alten Nazi.
»Spy City« wurde als internationale Koproduktion unter Beteiligung der Telekom und ihres Streamingdiensts Magenta TV sowie des ZDF unter Regie des deutsch-portugiesischen Regisseurs Miguel Alexandre umgesetzt. Das ZDF fasst den Sechsteiler für die lineare Ausstrahlung (ab 17.10.) in drei 90-Minütern zusammen.
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