Kritik zu Die Welt wird eine andere sein
Nach »Zwei Mütter« und »24 Wochen« beleuchtet Anne Zohra Berrached erneut gesellschaftliche Fragen im Blick auf eine intime Paarbeziehung
Was weiß man schon von dem Menschen, den man liebt, mit dem man zusammenlebt? Kann man sich jemals wirklich kennen? Eine Frage, die viele Kriminalerzählungen und Horrorfilme befeuert, wird in »Die Welt wird eine andere sein« ins Gesellschaftspolitische verlagert. In ihrem dritten Spielfilm wollte Anne Zohra Berrached den ideologischen Bruchlinien in der Familie und unter Freunden nachgehen, die sie als Tochter eines algerischen Vaters und einer ostdeutschen Mutter auch aus eigener Erfahrung kennt.
Die Frage, ob man den Menschen neben sich wirklich kennt, stellt sich in besonderer Weise, wenn ein Clash der Kulturen, Religionen, Traditionen den Blick verstellt. Wenn Zurückhaltung und Verheimlichung also kulturell und religiös bedingt sind. Die Deutschtürkin Asli lernt den Libanesen Saeed Ende der 90er Jahre kennen, sie studiert in Hamburg Medizin, er Zahnmedizin. Sie flirten miteinander, er wirkt frei und locker, streift seine Klamotten vom Leib, springt ins Meer, erwartet dasselbe von ihr. »Ich bin Türkin«, wehrt sie ab, halb verlegen, halb verlockt. Später, da sind die beiden schon ein Paar, verheimlicht sie ihrer Mutter die Beziehung, weil die einen Araber als Ehemann nie akzeptieren könnte, was wiederum ihn verletzt. Es sind feine Haarrisse, die sich ausbreiten. Das Ende der Beziehung ist von Anfang an in den Film eingeschrieben, mit den Zeilen eines Abschiedsbriefes: »Ich danke dir für fünf wundervolle Jahre. Ohne dich hätte ich meinen Weg nicht gehen können.« Lapidare Sätze mit weitreichenden Konsequenzen.
Während man als Zuschauer also die Leichtigkeit des Anfangs erlebt, fragt man sich schon, warum diese Liebe enden musste. Als Kritiker möchte man eigentlich gar nicht verraten, worauf es hinausläuft, um das Flüchtige, Periphere der Wahrnehmung nicht zu sabotieren, die kleinen Entdeckungen, die man verstreichen lässt, die man ignorieren, denen man aber auch nachgehen könnte. Darum sei empfohlen, die nächsten zwei Sätze erst nach Sichtung des Films zu lesen: Die Figur des Saeed ist lose inspiriert von der Biografie des libanesischen Terroristen Ziad Jarrah, der als Pilot des United Airlines-Flugs 93 an den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt war. Ähnlich wie »Fremder Freund« von Elmar Fischer stellt auch dieser Film die rückblickende Frage, wie sich die Zeichen für eine Radikalisierung erkennen und deuten lassen, und welche Verantwortung Freunde und Familienmitglieder als potenzielle Mitwisser tragen.
Die Geschichte der Liebe wird aus der Perspektive von Asli erzählt, die zunächst kleine Veränderungen registriert, Dinge, die sie irritieren, die ihr missfallen, gegen die sie sich wehren, die sie zumindest besprechen sollte, aus Angst oder Scheu aber verdrängt. »Du musst immer bei mir bleiben«, sagt Saeed als Hochzeitsschwur in der Moschee, »du musst meine Geheimnisse bewahren.« Immer häufiger entzieht er sich, immer länger verschwindet er, bei den Männern in der Moschee, im Jemen, ohne zu sagen warum. Hin-und hergerissen zwischen Familie und Freunden, zwischen Unterwerfung und Selbstverwirklichung ringt Asli um ihre Position, schlingernd zwischen aufrichtiger Loyalität und wachsenden Zweifeln. Für den Rest ihres Lebens wird sie sich fragen, was sie versäumt hat, als klar wird, dass die Veränderungen nicht nur ihr Privatleben, sondern die ganze Welt betreffen.
Ähnlich wie schon in »Zwei Mütter«, über das Ringen eines lesbischen Paares um eine Schwangerschaft und »24 Wochen«, über die schwierige Entscheidung für oder gegen das Leben eines ungeborenen, behinderten Kindes, spiegelt Anne Zohra Berrached auch in ihrem dritten Spielfilm größere gesellschaftliche Fragen in einer Paarbeziehung. Sie hat eine besondere Methode entwickelt, um eine fast dokumentarische Wahrhaftigkeit – hier mit Hilfe der noch unbekannten Hauptdarsteller Canan Kir und Roger Azar – in ihre Fiktionen einzuspeisen.
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