Höherer Unsinn
Die Vermutung, in deutschen Haushalten würden an Feiertagen die stets gleichen Gerichte serviert, ist weniger irrig, als man denkt. Es gibt tatsächlich sehr, sehr viele Bundesbürger, die sich an Heiligabend mit Bockwurst und Kartoffelsalat zufrieden geben.
Aber rechtfertigen derlei Gebräuche den Hang der Fernsehsender, ihre ZuschauerInnen mit der immergleichen Diät abzuspeisen? Auch in diesem Jahr hoffte man vergeblich auf ein Osterwunder, es gab nur die ewige Wiederkehr des Bekannten. Die Privatsender und die öffentlich-rechtlichen Anstalten überbieten sich da nicht in Sachen Einfallsreichtum. Sie nahmen wiederum die alibihaften Bibelfilme ins Programm; nicht immer zur schlechtesten Sendezeit, und statt des alten „Ben-Hur“ diesmal die verheerende Neuverfilmung. Winnetou und Old Shatterhand fehlten ausnahmsweise, dafür war hier (One) und da (Tele5) ein höheres Louis-De-Funès- Aufkommen zu verzeichnen. Gar nicht so dumm, denn der Komiker hat sich ja schon im vergangenen Frühjahr in Frankreich als zuverlässiger Lockdowntröster erwiesen. Die „Sissi“-Trilogie zirkulierte, wie schon an Weihnachten, durch dritte Programme. Kabel1 musste Terence Hill & Bud Spencer gar nicht erst aus dem Archiv holen, deren Raufereien laufen ohnehin ständig. Auch ohne einen weiteren Dauerbrenner ging es nicht: Edgar Wallace. Meinen privaten Erhebungen zufolge steht er zweimal jährlich auf dem Diätplan, war Teil des letztjährigen Krimisommers auf 3SAT und zu Weihnachten lief auf Nitro immerhin eine Auswahl von Titeln, die man seltener zu sehen bekommt. ZDFneo wiederholte heuer stur die üblichen Klassiker, was jedoch durchaus ersprießliche Fragen aufwirft.
Eine stellte ich mir gestern, als ich zufällig in der Bismarckstrasse an der alten Firmenadresse von Rialto vorbeikam, deren Chef Horst Wendlandt fast alle Wallace-Verfilmungen der 1960er produziert hat. Das Firmenlogo prangt immer noch an der Fassade. Es ist kein Blickfang, es wirkt ein wenig glanzloser als früher. Ich nehme an, den Großteil der ehemaligen Büros hat man inzwischen vermietet – die Rialto hat ihren letzten Film vor zehn Jahren herausgebracht -, auf dem Klingelbrett taucht der Firmenname nur einmal auf. Die Klingel der Wendlandt Verwaltungsgesellschaft, welche eher an die Immobilienbranche denken lässt, befindet sich in unmittelbarer Nähe. Ich fragte mich, ob man in den Büroräumen wohl regelmäßig zu den Feiertagen die Sekt- oder Champagnerkorken knallen lässt. Denn trotz erloschener Produktionstätigkeit dürfte das Geschäft noch immer brummen. Ein Kollege, der die Firmengeschichte gut kennt, hat mir einmal versichert, durch den Verkauf der Fernsehrechte habe die Wendlandt-Dynastie auf Generationen ausgesorgt. Damit bezog er sich wesentlich auf die Karl-May- und Wallace-Serien, aber der 2002 verstorbene Firmenchef und seine Erben verdienten und verdienen auch prächtig an ihren Otto- und Loriot-Vehikeln sowie ihrem Traumpaar Hill & Spencer. Die Buchhaltung ist zweifellos ausgelastet, die gesammelten Fernsehausstrahlungen zu zählen, muss allein schon eine schweißtreibende Aufgabe sein.
Ich durfte mithin in sorgenfreier Stimmreichteung heimkehren, um sodann weiterführende, nicht weniger erfreuliche Überlegungen anzustellen. Die österliche Wallace-Hausse hatte schließlich den Vorzug, im Kern eine Alfred-Vohrer-Retrospektive zu sein. (In der ZDF-Mediathek kann man sie gegebenenfalls noch ein paar Tage lang nachbereiten.) Vohrer, der den Großteil der Wallace-Filme inszeniert hat, wird neben seiner Nemesis Harald Reinl der dauerhaft erfolgreichste Regisseur der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte sein. Ganze Generationen sind mit ihren Filmen aufgewachsen und haben sie als Selbstverständlichkeit hingenommen, über die man nicht weiter nachdenken musste. Das änderte sich in meinem Fall, als Norbert Grob einmal das Vorhaben formulierte, eine Stilanalyse ihrer beiden Werke vorzunehmen. Ich weiß nicht mehr, ob das im Rahmen eines Uni-Seminars oder Berlinale-Treffens geschah. Erst einmal verbuchte ich diese Idee als höheren Unsinn, beginne aber allmählich, die Weisheit darin zu erkennen. Ich müsste nachforschen, ob er seinen Plan in die Tat umgesetzt hat.
Die Zwei gehören beinahe der gleichen Generation an. Dr. Reinl lernte sein Handwerk in den 1930ern als Regieassistent von Arnold Fanck und Leni Riefenstahl, Vohrer etwa ein Jahrzehnt später bei Harald und Alfred Braun. Da stellt sich augenblicklich die Frage der Kontinuität. Reinl stellte sie sich vermutlich nicht, seine bunte Karriere steht im Zeichen eines arglosen Weiter so. Vohrer, kriegsverkehrt und schwul, sah das womöglich anders. Ein interessanter, bislang sträflich ignorierter Aspekt seines Schaffens ist seine Arbeit als Synchronregisseur. Er verantwortet einen Gutteil der deutschen Fassungen von Hollywoodklassikern der 50er, darunter Filme von Ford, Kazan, Lean, Mamoulian und nicht zuletzt Filmexilanten wie Preminger, Siodmak und Zinnemann. (Eine seiner letzten Synchronarbeiten war Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“). Man kann im Fernsehen nicht nur ständig Vohrer sehen, sondern auch hören.
Im Fall der Karl-May-Serie ist ein Stilvergleich noch wenig ertragreich. Reinl war hier als Assistent berühmter Bergfilmer eindeutig im Vorteil: Er wusste, wie man im Schauwert von Naturkulissen schwelgt. Vohrers Beiträge zeigen demgegenüber kein nennenswert eigenes Charisma, wenn man mal von der flauen Süffisanz absieht, die Stewart Grangers als Old Surehand an den Tag legt. „Winnetou und sein Freund Old Firehand“ ist da schon von anderem Kaliber, er demonstriert, dass Vohrer den Italowestern studiert (wenngleich nicht recht verdaut) hat; er versetzte der Saga übrigens den Todesstoß.
Bei Wallace werden die Unterschiede sichtbarer. Reinl inszeniert „Der Frosch mit der Maske“ noch ziemlich treuherzig als waschechten Krimi (lässliche Ironie kommt allenfalls durch die vermeintlich ulkigen Auftritte von Eddi Arendt ins Spiel), während Vohrer von Anfang an - also mit "Die toten Augen von London" -das parodistische Potenzial erkennt. Anders gesagt: Bei Reinl ist das verwitterte deutsche Mannsbild Carl Lange immer eine Autoritätsfigur von altbacken moralischer Gravitas, Vohrer hingegen besetzt ihn als üblen Schurken, der sich hinter der Maske des Wohltäters verbirgt. Oder, um es noch klarer zu sagen: Ein Remake "Der Nibelungen" unter Vohrers Regie ist undenkbar.
Ich merke, die Sache wird länger. Jetzt schon über 6000 Zeichen! Halten wir uns an Heinz Draches finale Zuschaueradressierung in "Neues vom Hexer": Fortsetzung folgt demnächst in diesem Theater.
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