TVNow: »8 Zeugen«
»8 Zeugen« (Serie, 2021). © TVNOW / Hardy Brackmann
Was wirklich passiert ist, wer kann das schon so genau sagen? Eine Version zeigen und im nächsten Moment durch eine andere infrage stellen: Das Kino spielt gern mit der Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung. Akira Kurosawa beleuchtete 1950 Vergewaltigung und Mord in »Rashomon« aus vier verschiedenen Perspektiven. Und Pete Travis reflektierte 2008 die zunehmende Zersplitterung der modernen Zeit in »Vantage Point«, indem er einen Anschlag auf den amerikanischen Präsidenten in acht verschiedene Blickwinkel aufbrach. Mit jeder Perspektive eröffneten sich neue Erkenntnisse, die sich mal widersprachen, mal ergänzten: ein kaleidoskopisches Puzzle.
Auch in der deutschen Serie »8 Zeugen« (Buch und Regie: Jörg Lühdorff ) geht es in acht kurzen Folgen – zusammengenommen im Grunde auf Spielfilmlänge – um acht verschiedene Blickwinkel auf dieselbe Tat. Im Berliner Naturkundemuseum explodiert eine Bombe, als sich die Rauchwolken legen, fehlt die kleine Tochter des Innensenators. Als Unterstützung für das Ermittlerteam um Kommissar Diez (Ralph Herforth) wird die auf Erinnerungsforschung spezialisierte Psychologin Dr. Jasmin Braun (Alexandra Maria Lara) hinzugezogen. In der Rahmenhandlung blickt sie tief traumatisiert auf die Ereignisse um die Entführung zurück, ein Happy End ist also nicht zu erwarten.
In jeder Folge befragt Braun einen der im Museum anwesenden Zeugen: Könnten sie etwas wahrgenommen haben, das zum Täter führt, oder ist sogar ein Mittäter darunter? So wie die Agenten in »Inception« die Träume ihrer Zielpersonen nach Staatsgeheimnissen durchforsten, zerlegt Dr. Braun die Erinnerungen der Zeugen auf der Suche nach Indizien. Es hat einen besonderen Reiz, aus derartig flüchtigem Material haltbare Ergebnisse zu destillieren: »Jede Erinnerung ist falsch. Wir erleben etwas und schon in den Sekunden danach beginnt sie sich zu verändern.« Das kann verschiedene Gründe haben.
»8 Zeugen« ist ein Kammerspiel in einem Verhörraum mit Wohnzimmeratmosphäre. Trotz illustrer Besetzung (unter anderem Sylvester Groth) ist das in weiten Strecken mit einer gewissen Fernsehkrimi-Biederkeit erzählt. Doch immer wieder blitzen auch raffinierte Twists und originelle Ideen auf, schon dass Alexandra Maria Lara im Vorspann durch einen Wolkenhimmel watet, ist ein schönes Bild für die Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung.
Erinnerung ist nichts Absolutes, sie ist fragil und leicht zu manipulieren, durch zu konkrete Fragen, durch suggestive Bilder, durch Gespräche unter den Zeugen, die eigentlich getrennt werden sollten. Jede Begegnung, jede Frage, jeder Eindruck beeinflusst die Wahrnehmung rückwirkend. »Das Gehirn ist ständig damit beschäftigt, Verbindungen zu suchen und Erklärungen zu finden für das, was uns passiert«, sagt Dr. Braun einmal, die im Film das Alter Ego der deutsch-kanadischen Rechtspsychologin und Bestsellerautorin Dr. Julia Shaw ist, auf deren Forschungen die Serie basiert.
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