Rewind: »The Intruder – Weißer Terror« (1962)
»The Intruder – Weißer Terror« (1962)
Rassistisch? Frauenfeindlich? Muss man das canceln – aus dem Repertoire nehmen? Wir versuchen es anders. In der Serie »Rewind« stellen wir Filme vor, die auf der Höhe ihrer Zeit waren – und heute wieder einen Nerv treffen
Bläst Trump zum Sturm aufs Capitol? Es sind nur Bürger einer Südstaaten-Kleinstadt, die ihre weißen Privilegien verteidigen. Im vielleicht wichtigsten Film von Roger Corman
»The Intruder – Weißer Terror« (1962). Regie: Roger Corman
Gesichter voller Wut und Hass. Hochgereckte Arme und verzerrte Fratzen. Alle Hemmungen scheinen vergessen. Aber jenseits des wilden, keine Grenzen mehr kennenden Zorns liegt noch etwas anderes in den Augen der Rasenden. Ein fast schon religiöser Eifer scheint sie zu beseelen, eine Gewissheit, dass sie auf der richtigen Seite stehen und für eine gerechte Sache kämpfen. Und kämpfen wollen sie in jedem Fall. Nichts und niemand könnte sie jetzt noch aufhalten.
Szenen wie diese sind einem gerade extrem gegenwärtig. Seit am 6. Januar 2021 eine außer Kontrolle geratene Menschenmenge das Kapitol gestürmt hat und durch die Gänge, Büros und Säle der beiden Häuser des Kongresses gezogen ist, gehen Bilder vom Aufstand der Anhänger Donald Trumps immer wieder um die Welt. Die enthemmten Züge der Eindringlinge in das Herz der US-amerikanischen Demokratie wirken wie ein Echo viel älterer Filmbilder. Genau diesen Hass und diese Wut auf die Institutionen in Washington D.C. hat Roger Corman schon 1962 in seinem Spielfilm »The Intruder« dokumentiert, der 1963 unter dem Titel »Weißer Terror« in die deutschen Kinos kam.
Die politische Situation und die gesellschaftlichen Verhältnisse lagen damals natürlich noch anders. Es waren die Jahre, in denen die Bürgerrechtsbewegung gegen die Rassentrennung in den Südstaaten kämpfte, in denen afroamerikanische Schüler, die in rein weiße Schulen gingen, von Nationalgardisten beschützt werden mussten und der Ku-Klux-Klan mit Gewalt und brennenden Kreuzen versuchte, Angst und Schrecken zu verbreiten. Es waren die Jahre der Attentate und der politischen Morde. Corman und sein Drehbuchautor Charles Beaumont haben all dies in ihrer Geschichte um einen aus den Nordstaaten kommenden Agitator, der die Bürgerinnen und Bürger einer Kleinstadt aufwiegelt und schließlich in einen aufgebrachten Lynchmob verwandelt, aufgegriffen und zum Teil auch vorweggenommen.
Adam Cramer kommt mit dem Bus in der fiktiven Südstaatenkleinstadt Caxton an. Auf dem Weg dorthin ist er an Baumwollfeldern und heruntergekommenen Häusern vorbeigefahren. Für den Mann aus Washington D.C, der nach eigenem Bekunden für die »Patrick Henry Society« tätig ist und sich später als eine Art Sozialarbeiter vorstellen wird, ist es eine fremde Welt. Er ist der »Intruder«, der Eindringling, der eine bisher eher verschlafene Gemeinde in Aufruhr versetzen will. Die Bürger von Caxton sind nicht glücklich über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, dass schwarze Jugendliche nun auch weiße Schulen besuchen dürfen. Am liebsten würden sie an der strikten Rassentrennung festhalten. Aber die Integration ist nun einmal Gesetz geworden. Also haben sie sich damit abgefunden, dass mit Beginn des neuen Schuljahrs am kommenden Montag zehn schwarze Schülerinnen und Schüler die High School besuchen werden.
Immer wieder verweisen die Einwohner Caxtons im Gespräch mit Adam Cramer darauf, dass die Aufhebung der Rassentrennung nun mal Gesetz sei und sie nichts mehr unternehmen könnten. »Wessen Gesetz?«, fragt der vom damals noch unbekannten William Shatner gespielte Fremde dann jedes Mal provokativ, als gäbe es in dieser Hinsicht einen Spielraum. Und genau das behauptet er, zunächst in dem Gespräch mit dem reichsten Mann von Caxton, dem Industriellen Verne Shipman, und später dann in der Rede, die er am Abend vor dem ersten Schultag auf den Stufen des Gerichtsgebäudes hält. Zunächst wirkt die Masse der Menschen, die sich versammelt hat, um zu hören, was er ihnen erzählen und damit auch verkaufen will, interessiert, aber eher gleichgültig. Man hat sich versammelt, weil man die Integration ablehnt, doch große Hoffnungen macht sich anscheinend niemand. Das wird sich recht schnell ändern. Während Cramer zu ihnen spricht und verkündet, dass die Integration Teil einer jüdisch-kommunistischen Verschwörung sei, verwandeln sich die Gesichter der Jungen und Alten, der Frauen und Männer grundlegend. Sie erwachen aus ihrer Lethargie und fangen Feuer für die Lügen und Verschwörungstheorien des Fremden.
Gerade in dieser Szene, in der sich William Shatner wie aus dem Lehrbuch aller denkbaren rhetorischen Tricks und Täuschungsmanöver bedient, beweist Cormans düstere Vision von der Verführbarkeit der US-Bürger eine geradezu gespenstische Aktualität. Cramers Rede unterscheidet sich nur wenig von den Reden, die Donald Trump, sein Anwalt Rudy Giuliani und der republikanische Kongressabgeordnete Mo Brooks aus Alabama am Vormittag des 6. Januar 2021 gehalten haben. Wie sie 60 Jahre später beschwört auch Cramer eine Situation herauf, in der politische Entscheidungen zu einem Kampf auf Leben und Tod werden. Nicht zufällig trägt die Gesellschaft, in deren Namen er auftritt, den Namen »Patrick Henry Society«. Patrick Henry war einer der prominentesten Vertreter der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und zugleich Gegner einer starken zentralen Regierung. In einer Rede hat er den berühmt gewordenen Ausruf »Give me liberty, or give me death!« geprägt.
Genau diese Haltung erfüllt Cramers Rede, die mit den Worten endet: »Ich bin bereit, mein Leben zu geben, wenn das nötig ist, damit mein Land frei, weiß und amerikanisch bleibt.« Der Mythos, der den Unabhängigkeitskrieg der Amerikaner gegen die Briten befeuert hat, lebt fort. Demagogen wie Cramer und Politiker wie Trump und Brooks stützen sich bis heute auf ihn. So wird jedes Ringen um politische Entscheidungen zu einem Kampf auf Leben und Tod, zu einem Gefecht um die Freiheit, die natürlich immer nur die Freiheit der eigenen Interessen und Überzeugungen ist.
Kaum hat Cramer seine Rede beendet, bricht die von ihm entflammte Menschenmenge auf und stoppt einen Wagen, der durch Caxton fährt. Der afroamerikanische Fahrer und seine Familie werden belagert und bedroht, ohne dass sie etwas getan haben. Ihre Hautfarbe ist für die enthemmten Rassisten Grund genug, sie anzugreifen. Im Lauf des weiteren Geschehens wird die Situation Schritt für Schritt eskalieren. Es kommt zu Aufmärschen des Ku-Klux-Klans, einem Brandanschlag auf die Kirche der schwarzen Gemeinde von Caxton, bei dem deren Priester ums Leben kommt, und schließlich beinahe auch noch zu einem Lynchmord.
Roger Corman, der eher für seine unabhängig produzierten Genrefilme berühmt geworden ist, bildet die Mechanismen, die die Vereinigten Staaten in einem nicht enden wollenden, mal kalten, mal heißen »uncivil war« verharren lassen, mit einer eindrucksvollen Präzision ab. Es gibt kaum einen anderen US-amerikanischen Film, der den tiefen Riss, der in den Jahren der Bürgerrechtsbewegung durch das Land und vor allem die Südstaaten gegangen ist, so schonungslos offengelegt hat wie »The Intruder«. Corman hat mit seinen Arbeiten immer wieder den Nerv der Zeit getroffen. Doch in diesem Fall hat er den Finger in eine Wunde gelegt, vor der zumindest das Publikum der amerikanischen Autokinos seine Augen verschließen wollte.
»The Intruder« ist ohne Frage ein Film seiner Zeit. Aus heutiger Sicht dürfte zumindest die Selbstverständlichkeit, mit der nahezu alle Figuren das N-Wort und andere rassistische Beleidigungen verwenden, Irritationen hervorrufen. Insofern bietet Cormans geschickte Demaskierung nicht nur eines rassistischen Agitators, sondern auch der Menschen, die ihm bereitwillig ins Netz gehen, durchaus Angriffsflächen. Doch wer ihn nun aufgrund seiner Sprache ablehnt, die auch 1962 schon ein klarer Hinweis auf die Denkweise seiner Protagonisten war, unterschätzt die explosive Wirkung von Cormans Inszenierung. Seine Entscheidung, den Film in den Südstaaten zu drehen und in den meisten Nebenrollen Laien zu besetzen, verleiht »The Intruder« einen deutlichen Zug ins Dokumentarische. Er fängt den Geist jener Zeit perfekt ein und erinnert heute schmerzlich daran, dass die Gespenster des US-amerikanischen Südens noch längst nicht verschwunden sind. Der Mann, der am 6. Januar mit der Kriegsflagge der Konföderierten durch das Kapitol gegangen ist, könnte ohne Frage ein Nachkomme der Männer und Frauen sein, die Adam Cramer davon überzeugt hat, dass es sich lohnt, für ein weißes, rassistisches Amerika zu sterben und, vor allem, zu töten.
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