Kritik zu Schimpansen
Unter Affen: Alastair Fothergill und Mark Linfield, das Team hinter dem Naturfilmhit Unsere Erde, filmt dieses Mal hautnah die Auseinandersetzungen zweier Schimpansenhorden im afrikanischen Dschungel
Eine unglaublich berührende und seltene Geschichte, die von der Filmcrew im afrikanischen Tai-Dschungel festgehalten wurde: Ein kleiner Schimpansenjunge verliert seine Mutter. Das bedeutet normalerweise das frühe Lebensende für so kleine Affen, aber Oskar, auf diesen Namen wurde er getauft, hat Glück, denn der alte Clanchef Freddy nimmt sich des Kleinen an und verhindert so, dass das Affenbaby im Urwald einem sicheren Tod entgegengeht. Die beiden Filmemacher Alastair Fothergill und Mark Linfield haben schon viele Staunen machende Naturdokumentationen, darunter Unsere Erde (2009), gedreht. Mit ihren hochempfindlichen Kameras fangen sie einzigartiges Filmmaterial ein. Dass wir in Schimpansen unseren nächsten Artverwandten Artverwandten so nahekommen und auch ihre familiären Beziehungen über eine Zeitspanne von drei Jahren beobachten können, bedurfte eines großen Einsatzes der Crew, die sich im Urwald nicht nur gegen Ameisen und Mücken zur Wehr setzen musste. Wir sind sozusagen mitten unter Affen. Und da sie uns nahe sind, als blickten wir in einen Spiegel, verstehen wir ihre Reaktionen, ihre Gebärden und Gesten so gut. Und wir bangen um Oskar, als er verlassen im Dickicht umherirrt. Eine benachbarte Affenkolonie hatte Freddys Horde angegriffen und dabei kam Oskars Mutter um, so wird es im Film erklärt.
Nun sind die phänomenalen Filmbilder das eine, die zusammengeschusterte Geschichte und der Offtext das andere. Die konkurrierende Affenbande wird als Angreifergruppe charakterisiert, die es nur auf den Walnussbaum in Freddys Territorium abgesehen hat. Ihr Anführer – auf den Namen Scar (!) getauft – wird zum regelrechten Krieger stilisiert. Dabei, so möchte man sagen, sind das auch nur Affen. Sie versuchen sich lediglich Futter zu besorgen, wenn es bei ihnen keines mehr gibt, ein ganz normales tierisches Verhalten. Aber hier wird in Bild, Text und Score eine Story suggeriert, um den Affen ein dem Menschen ähnliches Verhalten anzudichten, eine Kriegssituation, in der die einen die Guten, die anderen die Aggressoren sind. Dass dies nicht stimmen kann, erkennen wir schon am dramaturgisch falschen Aufbau, da knirscht es gewaltig im logischen Ablauf der Ereignisse. Es agieren fantastische Protagonisten vor der Kamera, warum vertrauen die Filmemacher nicht darauf, dass den Zuschauern diese Einblicke in nie gesehene Verhaltensweisen genügen? Ist es so, dass wir für die Schimpansen, weil sie menschliche Züge zeigen, eine Story erfinden müssen, die unserem Verhalten ähnlich ist? Der vermutete, reichlich konstruierte Konflikt vermenschlicht die Tiere auf eine ihnen unpassende Art und Weise. Disney verdanken wir seit dem oscargekrönten Die Wüste lebt (1953) großartige Naturfilme. Solche Dokumentationen gehören zu Disneys ureigenem Sujet, und mit der Gründung von »Disneynature« etablierte der Konzern dieses Format konsequent als Fortschreibung ihre Engagements für den Tierfilm. Aber eine Doku funktioniert anders als ein Animationsoder Abenteuerfilm. Man sollte diese Genres nicht vermischen und im Falle der Naturdokus doch besser ganz auf die Protagonisten setzen.
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