Streaming-Tipp: »Sanditon«
Rose Williams und Tom Parker in »Sanditon« (Serie, 2019). © Red Planet Pictures
Wer glaubt, dass Jane Austens überschaubares Romanwerk filmisch längst durchgearbeitet ist, lernt mit dieser Serie eine neue Facette von Austens Welt kennen. »Sanditon« ist ein unvollendetes Romanfragment in elf Kapiteln, an dem die Autorin in den letzten Monaten vor ihrem Tod im Jahre 1817 schrieb. Ausgehend von einem klassischen Austen-Muster und angesiedelt in gewohnt gediegener Period-Drama-Kulisse, wurde der Stoff im Stil unbeschwerter Fanfiction zu einer achtteiligen Serie ausgesponnen. Man kann sich nun fragen, ob Austen angesichts dieser weit dynamischeren und von den Sensibilitäten des jetzigen Jahrhunderts geprägten Weitererzählung im Grabe rotieren mag. Die Autorin selbst indes lieferte mit dem ungewohnten Schauplatz, einem Küstenort, der sich zu einem aufstrebenden Seebad à la Brighton entwickeln soll, eine Vorlage, die so anregend ist wie Nordseeluft. Sogar eine Figur, die man auf den ersten Blick als Hinzudichtung einordnet – die junge Mulattin Georgiana, die mit offenem Rassismus traktiert wird – , ist eine Idee von Austen. Im Zentrum steht aber wie gehabt mit Charlotte Heyward eine beherzte junge Dame ländlich-behüteter Herkunft. Aufgrund eines Zufalls – ein Kutschenunfall – wird sie von Mr. Parker und seiner Familie dazu eingeladen, den Sommer in Sanditon zu verbringen. Parker, ein temperamentvoller Bauunternehmer, will das Dorf in eine noble Destination für betuchte Londoner verwandeln.
In der Serie wird Austens Dauerthema der ökonomischen Absicherung von Frauen via Heirat durch einen unerwartet genauen Blick auf die Erzeugung des zu vererbenden bzw. zu erheiratenden Vermögens erweitert. Da ist einerseits Lady Denham, die, eine weibliche Dagobert-Duck-Version, auf dem Vermögen zweier dahingeschiedener Gatten sitzt. Die launische Investorin, von Parker und potenziellen Erben belagert, macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Parker, den man heutzutage einen »Developer« nennen würde und der zwischen visionären Plänen und drohender Pleite schwankt, ist andererseits eine Hommage an wagemutiges Unternehmertum. In seiner Umtriebigkeit zieht er nicht nur währschafte Handwerker in seinen Bann. Für die PR spannt er Bruder Sidney, der Londoner Müßiggänger nach Sanditon locken soll, ein. Und die aufgeweckte Charlotte macht sich als Parkers Assistentin nützlich.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass das Drehbuch von gutmütigem Spott über hypochondrische Kurgäste durchzogen ist, wo doch Jane Austen selbst im Alter von 41 mutmaßlich an arsenhaltigen Arzneien starb. Regisseur Andrew Davies, in vielen Austen-Serien geeicht, malt auf burleske Weise die Anfänge des Bädertourismus und die Botschaft gesundheitlicher Ertüchtigung mittels Baden im Meer und, shocking!, heißer Duschen aus. Ökonomischer Aufbruch und belebendes Salzwasser gehen mit einer Lockerung der Sitten einher, selbst wenn sich Damen nur in Badewägen und in Stoffungetüme gekleidet in die Wellen begeben dürfen. Davies, der in der Serie »Stolz und Vorurteil« Colin Firth in einem ikonischen Moment aus dem Waldteich steigen ließ, sext auch diese Austen-Verfilmung auf: meist augenzwinkernd, gelegentlich überraschend plump, etwa bei einem inzestuösen Stiefgeschwisterpaar.
Der größte Malus ist leider Charlotte, die nur noch ein schwaches Echo elektrisierender Austen-Heldinnen wie etwa Gwyneth Paltrow als Emma darstellt. Allerdings wurde die Figur – die niedliche Rose Williams – bereits von Austen seltsam konturlos angelegt. Charlotte ist zwar emanzipiert, dient aber vorrangig der Verknüpfung interessanterer Charaktere und deren Intrigen. Auch Charlottes Favorit unter ihren potenziellen Heiratskandidaten ist ein lahmes Déjà-vu. So unterhaltsam die Serie durch ihre hübsch veranschaulichte Seebadthematik ist, so spielt sie doch, gemessen am Maßstab anderer Austen-Adaptionen, in der kunstloseren zweiten Liga.
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