Retrospektive: Filme von Catherine Breillat
»Une vieille maîtresse« (Die letzte Mätresse, 2007)
»Das Wunderbare an der Kunst ist nämlich, dass man selbst die Verwandtschaft wählen kann, die man haben möchte. Und ich bin die Tochter Ingmar Bergmans und Lautréamonts. Nicht die Tochter meines Vaters und meiner Mutter, nein, sondern die Tochter Bergmans und Lautréamonts.« – Wenn Catherine Breillat spricht, verwandelt sich der Raum. Der geschäftige, prunkvoll ausgestattete Eingangsbereich einer Wiener Hotelbar löst sich auf und wird zu einem erwärmenden Ort, der von der Macht des Gedankens lebt. Breillat spricht unwahrscheinlich eloquent, mit leiser, lebendiger Stimme, die bisweilen in ein heiteres, mädchenhaftes Piepsen verfällt. So lädt sie ihr Gegenüber umso entschiedener zum Ideenaustausch ein. Ihre Augen leuchten, die rechte Hand ist beim Reden immerzu in Bewegung, kreist, wirft sich nach oben, streckt sich – man meint, sie würde dirigieren. Und es stimmt in gewisser Weise, denn sie dirigiert ihre Worte, ihre Ansichten mit einer Konzentration und Intensität, als wären sie eine Symphonie.
Die 1948 geborene französische Filmemacherin und Schriftstellerin war im Januar zu Gast im Österreichischen Filmmuseum in Wien, das ihr ein Filmprogramm widmete – die erste vollständige Retrospektive im deutschsprachigen Raum (nachdem Anfang der 2000er Jahre einige Kinos Werkschauen organisiert hatten). Durch zwei in kurzer Folge entstandene Filme wurde die Regisseurin nachhaltig bekannt: »Romance« (1999) und »À ma sœur!« (Meine Schwester, 2001); man könnte auch noch »Anatomie de l'enfer« (Anatomie der Hölle, 2004) dazuzählen, ihr wahrscheinlich kühnstes Werk. Diese Filme loten die Möglichkeit der Darstellung von Sexualität aus und damit erhielten sie als »pornografisch« große Aufmerksamkeit – ähnlich wie zeitgleich »Baise-moi« (Fick mich!, 2000) und »Intimacy« (2001) –, aber mehr noch waren sie konzise, ungeschönte, vielschichtige Diskurse über weibliches Selbstverständnis und die mit der Sexualität verwobene Brutalität. Breillat galt fortan als Skandalautorin und Provokateurin. Auch nach einem Schlaganfall, in dessen Folge ihre linke Körperhälfte gelähmt ist, konnte sie weiter Filme machen, doch ihre bislang letzte Arbeit »Abus de faiblesse« (Missbrauch) datiert von 2013. Es gab keinen unmittelbaren Anlass für diese Werkschau in Wien – und dies sind immer die schönsten Würdigungen, nämlich solche, die aus Lust an der Wiederbegegnung mit einem Œuvre realisiert werden.
14 Langfilme und einen kurzen Essayfilm (Teil eines Omnibusfilms über die Stadt Nizza) hat Catherine Breillat in knapp 40 Jahren inszeniert; sie arbeitete als (Ko-)Drehbuchautorin (u.a. für Liliana Cavani, Marco Bellocchio und für den von David Hamilton gedrehten Film »Bilitis«) und verfasste zahlreiche Romane. Als ihr erster, »L'homme facile«, erschien, war sie 20 Jahre alt, aber geschrieben hatte sie ihn mit gerade einmal 17. Die existenziell-traurige, aber sehr bildliche Darstellung von Sinnlichkeit und Verlangen rief die Zensur auf den Plan, die das Buch erst ab 18 Jahren freigab. »Es wäre mir selbst, als ich es schrieb, verboten gewesen, es zu lesen. Ich habe keinen Skandal verursacht, ich war der Skandal!« erinnert sie sich, schmunzelnd und kriegerisch zugleich.
Von ihrem 12. Lebensjahr an (nach der Entdeckung Bergmans) wollte sie Filmemacherin sein, aber da es nur sehr wenige Frauen gab, die in den 1960er Jahren als Regisseurin arbeiten konnten, nahm Breillat sich vor, Romane zu schreiben, deren Erfolg dazu führen sollte, dass man ihr die Verfilmung antragen würde. Mitte der 1970er Jahre bot ein Produzent ihr in der Tat einige, wenn auch spärliche Mittel an, um ihren ersten Langfilm zu drehen, die Adaptation eines kurz vorher erschienen Romans. »Une vraie jeune fille« (1976/99) – einer von zwei Filmen, die Breillat persönlich in Wien vorstellte, – zeigt einen Sommer im Leben eines Mädchens, das den Urlaub bei ihren Eltern auf dem Land verbringt, dort ihre Sexualität entdeckt und ihre Jungfräulichkeit einerseits bald verlieren möchte, sie aber zugleich wie einen Schatz oder ein Gift mit sich trägt. Besonders wenn man »Une vraie jeune fille« im Kino und in einer analogen Projektion sieht, ist er – gemessen an Breillats späteren Werken – ein flirrend-bunter, lässiger und von feinem Witz bestimmter Film, der zeitlos wirkt. Seine Freizügigkeit stößt bisweilen offensichtlich an die Grenzen dessen, was in den 1970er Jahren bei einer Veröffentlichung in den regulären (nicht pornografischen) Kinos darstellbar war. Allerdings musste sein Verleih kurz vor der Auswertung Insolvenz anmelden und »Une vraie jeune fille« blieb zwei Jahrzehnte lang in einem Kopierwerk »inhaftiert«, bis er 1999 doch noch aufgeführt werden konnte, 23 Jahre nach seiner Entstehung: ein Ausnahmefall der Filmgeschichte.
Der Kurator der Retrospektive, Jurij Meden vom Österreichischen Filmmuseum, schreibt: »Breillats Figuren brennen nicht nur vor Leidenschaft, sie werden buchstäblich von deren Flammen verzehrt. Sie suchen nach Augenblicken der Selbstvergessenheit, wenn ihr Fleisch mit dem Fleisch der oder des Geliebten verschmilzt – um jeden Preis. In dieser Hinsicht steht Breillat im französischen – und im europäischen – Kino alleine da, sie ist vielmehr die Blutsschwester von David Cronenberg und Ōshima Nagisa, zwei von ihr über alle Maßen verehrten Filmemachern.« Breillat weiß noch, dass sie beim Drehen von »Romance« eigentlich einen glühenden, warmen Film wie »Ōshimas Ai no korĪda« (Im Reich der Sinne, 1976) gewollt und die »Eiseskälte« ihrer Aufnahmen sie dann schockiert habe. Auch »À ma sœur !«, die erste Begegnung von zwei jungfräulichen Mädchen mit Sexualität und Tod, weist diese analytische Sachlichkeit der Bilder auf, doch die Choreographie der Bewegungen während der Liebeswerbung, die erlesenen, literarischen Dialoge und die genaue Komposition der Bilder vermitteln ebenso Eleganz wie sie die Sterilität der Welt des neuen Jahrtausends zur Schau stellen.
Ein kleiner Coup dieser Retrospektive war es zudem, sie mit einer umfangreichen Werkschau der hinreißenden und immer unerhörten Filme des italienischen Regisseurs Marco Ferreri zu paaren, auch er einer der berühmten Skandalregisseure, man denke an »La grande bouffe« (Das grosse Fressen, 1973). Auf diese sinnige Parallelisierung angesprochen, sagte Breillat: »Ferreri machte Skandale wie ein Mann. Männer werden für ihre Skandale gefeiert. Hätte ich den gleichen Film gemacht, wäre ich umgebracht worden, denn ich bin eine Frau und das wäre schlechter Geschmack gewesen. Der schlechte Geschmack von Männern ist viel zulässiger als der von Frauen.«
Das kämpferische, bisweilen wütende Moment von Breillats künstlerischem Credo zeichnet ihre Filme nicht weniger aus als ihre Freizügigkeit. Unablässig hat sie die jahrtausendealte Unterdrückung der Frau thematisiert. In ihrem Roman »Pornokratie« heißt es: »Wenn Ihr Euch also fragt, warum sie so dasteht, mit aneinander gepressten Oberschenkeln, dann solltet Ihr wissen, dass sie alles tut, um sich zusammenzureißen, so wie ihr es vorgeschrieben habt, auch wenn sie sich damit zu einer Todgeweihten macht, starr vor Angst, die Aufmerksamkeit wieder auf jenes grauenvolle Detail zu lenken, das einer eitrigen Wunde gleicht: Sie hat und verkörpert das Geschlecht einer Frau.«
In ihren Schriften und Filmen hat sie die Frau zu eigenem Leben, eigenem Wollen ermächtigt, ob zur Beherrschung der Männer oder zu dem von ihnen willentlich Unterdrückt-Werden. Die Sexualität als Teil des Menschseins sehen, über sie sprechen und damit eine Gedankenwelt eröffnen, als sei sie ein Körper, der sich auszieht – dazu lädt das Kino von Catherine Breillat ein, mit kreisendem Arm, mit leiser, lebendiger Stimme.
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