Fernsehfilm-Festival Baden-Baden: Flammender Appell
»Tatort: Für immer und Dich« (2019). © SWR/Benoit Linder
Auf dem Fernsehfilm-Festival Baden-Baden, veranstaltet von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und dem Sender 3sat, ging es um Frauenbilder und Marktanteile
Das hat es in Baden-Baden noch nie gegeben: dass die Gewinnerin des Hans-Abich-Preises auch mit dem Filmpreis des Fernsehfilm-Festivals nach Hause geht. Der Regisseurin Julia von Heinz ist das in diesem Jahr gelungen. Schon vor Beginn des Fernsehfilm-Festivals stand fest, dass die 43-Jährige mit dem Hans-Abich-Preis, dem Ehrenpreis des Festivals, ausgezeichnet wird. Die Jury teilte mit, ihre Filme seien »beeindruckende Beispiele für eine zeitgemäße Art, Frauenfiguren zu inszenieren und zu zeigen«. Sie verändere »mit großer Selbstverständlichkeit und wohltuend unprätentiös filmisches Erzählen«.
Laudatorin Andrea Stoll hatte in ihrer Rede gesagt, angesichts des Alters der Regisseurin handele es sich hier nicht um eine Würdigung des Lebenswerks, der Preis drücke vielmehr Hoffnung aus: »Auf mehr, mehr, mehr solcher Filme, in denen Frauen eben nicht starkstarktstark sein müssen«. Eine solche Frauenfigur, die, wie Stoll sagte, »verwundbar« ist, »unkorrekt, uneindeutig, zweifelnd an sich und den anderen«, hat von Heinz auch in dem »Tatort: Für immer und dich« (ARD/SWR) in den Mittelpunkt gestellt, für den sie den Fernsehfilmpreis erhielt: eine 15-Jährige, die scheinbar aus freien Stücken mit ihrem gut 30 Jahre älteren Liebhaber 18 Monate lang durch Europa reiste. Nun kehrt das fragwürdige Paar zurück in die Heimat der jungen Frau, und hier gelingt es ihr endlich, sich aus der Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit zu befreien. Der Tatort, der an den Fall der verschwundenen Maria H. aus Freiburg angelehnt ist, sorgte nach seiner Ausstrahlung im März für heftige Diskussionen. Der Regisseurin wurde vorgeworfen, sie verharmlose den Missbrauch, doch ihr war es wichtig, die junge Frau nicht nur als Opfer zu zeigen.
Von Heinz nutzte ihre Dankesrede für den Hans-Abich-Preis zu einem flammenden Appell an die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, doch endlich nicht mehr die »neoliberalen« Marktanteile zum Maßstab ihrer Planung zu erheben. Sie sehe bei ARD und ZDF ein »Pogramm für ältere Menschen«, es werde zu 70 Prozent von weißen, heterosexuellen Männern aus Westdeutschland zwischen 40 und 60 gestaltet und spiegele deren Perspektive, sagte sie. Wenn aber die jungen Menschen ihre Perspektiven im Programm nicht wiederfänden, würden sie umschalten, warnte die Regisseurin. So werde sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst zu Grabe tragen.
Der Appell verhallte so gut wie ungehört; bei der Preisverleihung waren kaum Verantwortliche von ARD und ZDF anwesend. Und vier Tage später, bei der Programmpressekonferenz des Ersten, feierten die Programmdirektoren so ungeniert ihre Marktanteile für den mit Quizshows zupflasterten Vorabend, dass deutlich wurde: die Quote wird noch lange das Maß aller Dinge bleiben.
Der Preis für die künstlerische Gesamtleistung ging in Baden-Baden ebenfalls an einen Tatort, die Ausgabe »Murot und das Murmeltier« (ARD/HR), in der Ulrich Tukur als Kommissar Murot in eine Zeitschleife gerät. Die Jury lobte die »so intelligente wie spannende, gewitzt philosophische und spielerisch selbstreferenzielle Zeitschleifengeiselnahmegeschichte« von Dietrich Brüggemann, die die Routinen des Polizeifilms zugleich darstelle und aufhebe. Auch die Studierenden der Filmakademie Ludwigsburg, der Hochschule für Fernsehen und Film München und der Filmuniversität Babelsberg zeichneten diesen »Tatort« aus und bestätigten, dass dies einer der wenigen Sendeplätze ist, auf denen die ARD-Sender gelegentlich noch Innovatives wagen.
Der Sonderpreis für herausragende schauspielerische Leistungen ging an den Schauspieler Karl Markovics für seine Darstellung des Bürgermeisters Michael Unterguggenberger in »Das Wunder von Wörgl« (ORF/BR/Arte). Durch sein Spiel und seine Präsenz erhalte der Film, in dem es um eine alternative Geldwirtschaft im österreichischen Ort Wörgl zur Zeit der Weltwirtschaftskrise geht, ein »empathisches Zentrum, das die Zuschauer zu jeder Zeit auch zur inhaltlichen Auseinandersetzung und gedanklichen Durchdringung« animiere, lobte die Jury.
Den 3sat-Zuschauerpreis erhielt der ZDF-Film »Stumme Schreie« von Johannes Fabrick und Torsten Näter. Der Film erzählt von einer jungen Ärztin, die sich gegen Kindesmisshandlung engagiert. Der Nachwuchspreis MFG Star ging an Nora Fingscheidt für ihren bereits mehrfach ausgezeichneten Film »Systemsprenger«. Die Jurorin Hermine Huntgeburth sagte, sie habe »einen großen Film gesehen – mit einer starken künstlerischen und menschlichen Handschrift«. Der Film, eine Koproduktion mit dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF, wurde auch als deutscher Beitrag für den Oscar vorgeschlagen.
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