53. Hofer Filmtage
»Baumbacher Syndrome« mit Tobias Moretti (2018)
Ziemlich knapp – 4 : 3 – endete das traditionelle und legendäre Fußballspiel bei den Hofer Filmtagen, die sich in den letzten Jahren dem deutschen Independent-Film verschrieben haben
»Stellen Sie sich vor, Martin Scorsese und Guy Ritchie machen einen Film ohne Geld. Im Norden von Hamburg.« Was wie die perfekte Beschreibung des Anforderungsprofils für einen Wettbewerbsfilm der Hofer Filmtage klingt, die sich unter Festivalleiter Thorsten Schaumann auf die unabhängigsten der deutschen Kinoproduktionen spezialisiert haben, war folgerichtiger Auftakt der Preisverleihung: Denn mit diesen Worten begann Franziska Weisz ihre Jurybegründung für den Förderpreis Neues Deutsches Kino, der bei den 53. Hofer Filmtagen an den Genre-Mix »Coup« ging. Regisseur Sven O. Hill inszenierte dabei das reale Ereignis eines perfekten Bankraubes im Look der 1980er Jahre zwischen Elmshorner Rockermilieu und Luxushotel in Sydney als Vermengung von Fiktion, Dokumentarischem und animierten Sequenzen. Den Hofer Goldpreis für die beste Regie, ein 1 Kilo schwerer Goldbarren im Wert von derzeit rund 43.000 Euro inklusive einer Mentorenschaft durch Altmeister Bernhard Sinkel, erhielt Lothar Herzog für sein in Weißrussland spielendes und visuell faszinierendes Drama »1986«. Darin übernimmt eine junge Frau das Geschäft ihres im Knast sitzenden Vaters und hat fortan unter den Nachwirkungen von Tschernobyl zu leiden.
Überhaupt waren viele der Filme der 53. Hofer Filmtage geprägt von einer Welt im Umbruch: Frauenfiguren haben ihre Rolle neu definiert, sich emanzipiert und nun das Heft in der Hand – während die Männer sich mit dieser Situation überfordert und orientierungslos fühlen. »Deine einzige Eigenschaft ist es, mit mir zusammen zu sein«, lautet der Vorwurf der Frau in Christian Knies turbulentem Dreißigminüter »Schlaf gut, Du auch«, der in Hof sinnbildlich für viele Figurenkonstellationen stand. Der Mann wartet stattdessen auf eine gute Fee, die sein Leben verändert. So auch im Eröffnungsfilm »Baumbacher Syndrom« von Gregory Kirchhoff, in dem sich der eloquente Late-Night-Talker (brillant gespielt von Tobias Moretti) über Nacht in ein Monster verwandelt – und das nur, weil seine Stimme auf magische Weise ungewöhnlich tief und brummig geworden ist. Auf seiner Flucht vor der Öffentlichkeit und seinem bisherigen Leben ist es die junge inspirierende Fida, die ihm neuen Lebensmut einflößt und ihm hilft, sich dem Konflikt mit seinem jahrelang vernachlässigten Sohn zu stellen. Dass dieser von Tobias Morettis Sohn Lenz gespielt wird, macht diese vielschichtige Adaption von »Die Schöne und das Biest« nur noch intensiver.
Nicht erst zu Monstern verwandeln mussten sich die Protagonisten von »Die Rüden«, die der meistdiskutierte Gesprächsstoff am Bratwurststand vor dem Central-Kino waren. Regisseurin Connie Walther wagte darin ein Experiment aus purem Testosteron: In einer mystischen Arena aus Beton werden vier junge Gewaltstraftäter mit drei hochaggressiven Hunden konfrontiert. Sie alle sind Täter, sie alle haben sich ins Abseits katapultiert. Die Hundetrainierin Su lotet in diesem Strafvollzugsprojekt für Männer wie Rüden die Grenzen der Männlichkeit aus.
An einer anderen Grenze der Männlichkeit angekommen ist der von Max Riemelt in Savaş Ceviz' »Kopfplatzen« verkörperte gutaussehende und sympathische Architekt: Er ist pädophil. Sich selbst dafür hassend, kämpft er verzweifelt darum, den kleinen Jungs in seiner Umgebung zu widerstehen. Max Riemelt wurde dafür und für sein bisheriges schauspielerisches Schaffen mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet. Wie Riemelt ist auch Karl Markovics Stammgast im »Home of Films«: Seine Regiearbeit »Nobadi«, in weiten Teilen ein Zweipersonenstück um einen 93-jährigen Rentner und einen jungen afghanischen Flüchtling, die in einer Wiener Kleingartensiedlung immer mehr aufeinander angewiesen sind, ist vielschichtig, intelligent und stets aufs Neue überraschend. »Sie müssen einiges aushalten«, warnte Markovics sein Publikum. Doch wer bis zum Ende aushielt, konnte sagen: Es hat sich gelohnt.
Die Entdeckung der Filmtage war Lillian Loveday Erlingers Regiedebüt »Because We Dreamt of Flying«. In einem süditalienischen Dorf geraten der depressive Marx, ein junger Deutscher aus reichem Hause, und die lebhaft emotionale Russin Mercedes (herausragend: Lena Tronina) aneinander und werden ein ungleiches Paar. Sinnlich und poetisch erzählt, entsteht in diesem improvisierten Film eine Energie, die vielen Filmtagebesuchern ein langanhaltendes Lächeln ins Gesicht zauberte.
Kommentare
Baumbacher Syndrome
Der Regisseur sollte erst mal wissen, was er will.Ein Experimentalfilm? Ich weiß es jedenfalls nicht. Deutsche Filme sollen wenigstens unterhalten- mehr können sie eh nicht und mehr erwarte ich auch nicht von ihnen. Aber wenigstens das sollte drin sein. Stattdessen darf man sich die Ohren verdrehen, um das (unbedingt? !) englische Interview wenigstens akustisch zu verstehen, denn die Untertitel sind intelligenterweise mit weißer Schrift auf meist sehr hellem Untergrund, je nach
Szenenhintergrund, so dass man sie nicht lesen kann, zumal sie rasant wechseln. Wieso kann das Interview nicht auch in deutscher Sprache geführt werden, ist deutsch jetzt inzwischen ganz out im deutschen Film? Das ist alles nicht nachvollziehbar und ich habe den Film dann nach ca. 1 Stunde Langeweile abgeschaltet und mir ein Buch geschnappt. Schade um die Idee, kann ich da nur sagen. Wobei : seit wann ist eine solche Besonderheit wie eine Gruselstimme ein Grund, sich aus dem Showbizz zurück zu ziehen? Eher das Gegenteil ist doch der Fall: noch mehr Aufmerksamkeit, noch mehr Quote. Also doch eher schon fast ein Glücksfall als ein Schicksalsschlag. Stattdessen ewige Nabelschau und immer dachte ich: wann wird wohl es wohl zur unvermeidlichen Sexszene zwischen dem alten Moretti und der blutjungen Vagabundin (in dem Film arbeitet eigentlich keiner so wirklich für sein Geld, aber das so typisch für junge Regisseure...also schon wieder geschenkt)... kommen? Ich wollte diese peinliche filmische Entgleisung nicht abwarten.
Fazit: nicht gesehen= nichts verpasst.
Geschaut= Zeit verschwendet.
Und das bei einer wirklich interessanten Idee!
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