Urheberrecht: So viele Fragen
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Es wurde in ganz Europa demonstriert, fünf Millionen haben dagegen unterschrieben. Wie kann eine Urheberrechtsrichtlinie solche Leidenschaft auslösen? Über die besonders heiklen Auflagen der EU-Reform unter besonderer Berücksichtigung der Bildmedien
Das »geistige Eigentum« ist eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft: Es schafft die Voraussetzung dafür, dass das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit mit einem Preisschild versehen und in den Warenkreislauf eingespeist werden kann. Mit der Verbreitung des Buchdrucks, zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, wurden die Grundlagen für das Urheberrecht gelegt. Seither ist die Lage mit jeder technischen Entwicklung, vom Tonträger über den Kopierer bis zur digitalen Datei, komplizierter geworden. Und die Entwicklung des interaktiven Internets, das einer Masse von »Usern« die Möglichkeit an die Hand gibt, sich unkompliziert in den Strom der Kulturwaren einzuschalten und selbst zu Schöpfern, zu Urhebern zu werden, fordert das ganze System heraus.
Im Streit um die neue, am 15. April endgültig beschlossene Urheberrechtsrichtlinie der EU, der Ende März europaweit rund hunderttausend Menschen auf die Straße gebracht hat, ging es nicht zufällig vor allem um den Artikel 17, vormals 13, der das Haftungsprivileg der sogenannten Host-Provider aufhebt. Dieses Privileg, das die Anbieter technischer Infrastruktur von der unmittelbaren Haftung für Rechtsverstöße ihrer Nutzer entbindet, wurde 2000 in der europäischen E-Commerce-Richtlinie festgeschrieben; es sollte junge Tech-Projekte vor unkalkulierbaren Risiken schützen – YouTube, Facebook, Twitter gab es damals noch nicht. Den Rechteinhabern, wenn man so will: der alten, klassischen Kulturindustrie, konnte das Haftungsprivileg nie gefallen. Für sie hat es Monstren gezeugt, parasitäre Unternehmen, die ihre »Geschäftsmodelle auf Urheberrechtsverletzungen aufbauen«, wie es im CDU-Vorschlag zur Umsetzung der Reform heißt.
Nun kann man von den Internet-Giganten halten, was man will. Tatsächlich aber besteht das »Geschäftsmodell« von YouTube und Co. nicht darin, geschütztes Material zugänglich zu machen. Friedhelm Greis hat auf der IT-News-Seite Golem das Problem sehr instruktiv auseinandergelegt. Und zum Beispiel bemerkt, dass »usergenerated content« urheberrechtlich außerordentlich differenziert zu bewerten ist: Der User kann alleiniger Urheber sein, das Material kann gemeinfrei sein, unter einer freien Lizenz oder unberechtigt ohne Lizenz veröffentlicht werden. Letzteres war schon immer illegal, die Plattformen sind verpflichtet, zu reagieren, wenn sie auf Verstöße aufmerksam gemacht werden – und die Menge an Urheberrechtsverstößen ist von Plattform zu Plattform höchst unterschiedlich.
Unterm Regime des Haftungsprivilegs konnte ein nichtkommerzielles, demokratisches Wunderwerk wie die Wikipedia entstehen, hat sich eine Kultur der Medien-Remixe und Mash-ups, des politischen Kommentars und der Video-Essayistik entfaltet, haben Künstler, Filmemacher, Literaten, Musiker für ihre Arbeiten Präsentations- und Vertriebswege gefunden, auf Tumblr, Patreon, Deviantart. Die EU-Richtlinie aber sieht überall Produktpiraterie; sie spricht nicht von Inhalten, die Nutzer kreieren, sondern nur von »uploaded content«. Und für den sollen die Plattformen jetzt mal zahlen. Artikel 17 besagt, dass kommerzielle Webseiten und Apps mit nutzergenerierten Inhalten »bestmögliche Anstrengungen« unternehmen müssen, um vorab Lizenzen zu erwerben für geschütztes Material, das ihre User möglicherweise posten. Des Weiteren ist zu verhindern, dass geschützte Inhalte überhaupt hochgeladen werden – was, wie irgendwann nicht mal mehr Axel Voss, der christdemokratische Chefdenker der Reform, bestritten hat, nur automatisiert mit Hilfe von »Erkennungssoftware« möglich ist, also mit Uploadfiltern. Dabei interessiert es nicht, in welchem Umfang Urheberrechtsverstöße auf einer Plattform zu erwarten sind: Die Ausnahmen von der Providerhaftung sind so eng gefasst, dass selbst traditionelle Foren, von den Zierfischliebhabern bis zu den Mac-Usern, betroffen sein könnten, sofern sie sich über Anzeigen monetarisieren und ihre Inhalte in irgendeiner Weise »kuratieren«, also zum Beispiel verschlagworten.
YouTube, das von Anfang an mit Copyrightproblemen kämpfte, hat längst ein von außen undurchschaubares Abkommen mit der Musikverwertungsgesellschaft GEMA und setzt ein kostspieliges Filtersystem ein. Bei Musik funktioniert das einigermaßen – auch wenn die Content ID schon Katzenschnurren inkriminiert haben soll. Viel schwerer ist es, Bilder zuzuordnen, die oft mit ähnlichen Strukturen und Motiven arbeiten. Dass Kollateralschäden – zu Unrecht gesperrte Inhalte: Overblocking – zu erwarten sind, konnte man bereits in anderen Zusammenhängen beobachten. Auf der bei Medienfans beliebten Bloggingplattform Tumblr etwa, die im Dezember ihre Geschäftsbedingungen geändert und begonnen hatte, visuelles Ü-18-Material zu blockieren, zeigte sich, dass die Filter Brustwarzen nicht so gut von Augen oder Knöpfen unterscheiden konnten. Bei Parodie, Zitat, Kommentar und Kritik wird die Lage vollends unübersichtlich. Bewertet werden müssten »das Maß der Originalität des jeweiligen Inhalts, die Länge beziehungsweise der Umfang des verwendeten Zitats oder Auszugs, die Professionalität des jeweiligen Inhalts oder das Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens«. Das wird ein Algorithmus nicht hinbekommen – so was beschäftigt Gerichte. Die Anwälte der Reform beteuern immer wieder, es gehe nicht um die Kontrolle des Alltagsverhaltens nichtkommerzieller Nutzer; Memes, vorgefundene, bearbeitete Bilder, die einen Großteil der Internet-Kommunikation ausmachen, würden nicht blockiert. Die Verfügungsgewalt darüber treten sie mit der Reform aber an die Provider ab. Und solche Versicherungen wirken wenig vertrauensbildend, wenn sie von Politikern kommen, die durch monumentale Internet-Inkompetenz auffallen – Axel Voss hatte in Googles Bildersuche eine »Memes-Rubrik« gefunden. Tatsächlich kriminalisiert die Richtlinie die User eher, als ihre Kultur zu schützen – etwa durch eine großzügige Fair-Use-Klausel wie in den im Umgang mit »transformativen Werken« geübteren angelsächsischen Ländern. Was an der Argumentation stimmt, ist immerhin: Es geht bei der Providerhaftung darum, Lizenzlösungen zu erzwingen.
Wer es sich leisten kann, sich weiträumig über Lizenzkäufe abzusichern und Uploadfilter zu entwickeln: das sind die großen Plattformen. Kritiker, darunter der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, befürchten, dass Artikel 17 ihnen erst recht Macht an die Hand gibt. Man kann sich aber auch vorstellen, dass etwa Google seine Tochter YouTube – die nicht profitabel ist – zur Mediathek degradiert: Dann fände man da keine »Fake Trailer« und »Crack«-Videos mehr, sondern nur noch Produkte von Disney, Sony, der Deutschen Grammophon. Und statt der krassesten Wutausbrüche von Oliver Kahn offizielle DFB-Clips.
Wer kontrolliert, ob das per digitalem Fingerabdruck als geschützt gekennzeichnete Material wirklich urheberrechtlich relevant ist? Wie sollen die »wirksamen und zügigen« Mechanismen aussehen, mit denen fälschlich geblockte User Widerspruch einlegen können? Und: Genießen wir Nutzer nun tatsächlich eine neue Rechtssicherheit, sind wir raus aus der Haftung? Oder werden Plattformbetreiber immer noch den User vorschieben können – indem sie etwa die Nutzeridentifikation verschärfen?
Vor proaktiven Filterverfahren haben unter anderem die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Human Rights Watch, Reporter ohne Grenzen und Internet-Pioniere wie Tim Berners-Lee und Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales gewarnt. Medien- und Kulturwissenschaftler haben die Urheberrechtsreform in all ihren Stadien und unter verschiedensten Aspekten kommentiert und kritisiert. Bei uns beschrieben die Netzpolitikerin Julia Reda und Kommentatoren von »Spiegel-Online« über »Telepolis« bis »Netzpolitik.org« die Richtlinie als Geschenkpaket an ein paar Altmediensparten: Artikel 17 ist ein Präsent für die Musikindustrie, das in Artikel 15 festgeschriebene Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse geht an die großen Zeitungsverlage. Und Artikel 16 legt fest, dass Autoren ihre über die Verwertungsgesellschaft Wort realisierten Einnahmen wieder mit den Verlagen teilen müssen. Selbst die einmal geplante Stärkung der Autoren und Kreativen im Urhebervertragsrecht wurde im finalen Paket verwässert; Total-Buyout-Verträge etwa sind nach wie vor möglich.
Andererseits haben sich viele deutsche Verbände und Gewerkschaften, Urheber wie Rechteinhaber, in der »Initative Urheberrecht« für die Reform ausgesprochen, auch die Filmkreativen und –produzenten. Man kann ihr Interesse an einem »Urheberrecht fürs Internet« verstehen; die Kritiker der Reform haben nie behauptet, es seien keine Anpassungen notwendig. Das alte »Notice and Take Down«-Verfahren etwa mag prächtig funktionieren, wenn man Disney ist, aber kleinere Rechteinhaber stoßen schnell an Grenzen, wenn sie einen auf YouTube illegal gestreamten Film sperren lassen wollen – adressieren Sie ihre Beschwerde bitte an Google, Mountain View, Kalifornien. Die Haftungspflicht, so die Hoffnung, könnte dazu führen, dass die Verwertungsgesellschaften der Filmbranche nun hinter der GEMA den Fuß in die Tür bekommen und mit den Plattformen Verträge schließen können, in denen die Rechte an den von Usern hochgeladenen fremden Inhalten pauschal abgegolten werden. Es würden sich so Einzelbilder oder Ausschnitte erfassen lassen, auf keinen Fall der ganze Film – der soll ja regulär ausgewertet werden. An den Einkünften würden dann, die übliche Praxis in der Filmbranche, Produzenten und Urheber beteiligt. Das Modell ist sicher nicht für alle Akteure gleichermaßen relevant. Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, SPIO, steht Pauschallizenzen kritisch gegenüber; dem Deutschlandrepräsentaten der Motion Picture Association geht die Providerhaftung sowieso nicht weit genug. Die Verwertungsgesellschaften – etwa die VG Bild-Kunst – oder Thomas Frickel von der AG Dok, dessen Produktionen regelmäßig illegal in YouTubes Doku-Kanälen und auf Filesharing-Plattformen auftauchen, sehen aber Chancen. Welche Provider jenseits und vor allem: unterhalb von YouTube solche Verträge schließen müssten, wie die vielfältigen Film-Mixe im Netz, von den GIFs – animierte Fotos, gern Filmstills – bis zum ausgereiften Fanvideo, urheberrechtlich einzuschätzen sind, ist offenbar unklar.
Die Copyright-Reform wird nicht grundlos auch jenseits der EU mit Sorge betrachtet. Artikel 15 und 17 treffen die sozialen Netzwerke, deren Kommunikation weltweit über Links, Zitate, Fotos und Filmschnipsel, Memes, GIFs verläuft: Twitter, Facebook, Instagram, Snapchat, Flickr, Reddit. Und sie könnten sich lähmend auf die Aktivitäten der Medienfans auswirken, sagen wir mal, die Millionen Hobby-Autoren, die auf Wattpad Fangeschichten posten. Man muss sich klarmachen, dass die Menschen, die da in Austausch treten, unter verschiedenen Maßgaben agieren. Soll Twitter künftig entscheiden, ob die Fotomontage in der Nachricht eines Users in Cincinatti, die von der Fair-Use-Klausel gedeckt ist, einem Nutzer in Châlons-sur-Marne gezeigt werden kann? Manche befürchten, die Plattformen könnten ihr internationales Geschäftsverhalten an die europäische Reform anpassen. In jedem Fall dürften die nächsten zwei Jahre, in denen die Richtlinie in nationales Recht umgewandelt werden muss, spannend werden. Danke, EU, für das Chaos.
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