Interview mit Wash Westmoreland über seinen Film »Colette«
Wash Westmoreland mit Keira Knightley am Set von »Colette« (2018)
In den 90er Jahren verschlug es ihn von Großbritannien in die USA, wo er seine Karriere als Kameraassistent bei Bruce LaBruces »Hustler White« begann. Sein Spielfilmdebüt »The Fluffer«, das er gemeinsam mit seinem späteren Ehemann Richard Glatzer inszenierte, handelte von der Sexfilmbranche. Später inszenierten die beiden Filme wie »Quinceañera«, »Mein Leben mit Robin Hood« oder »Still Alice«, der Julianne Moore ihren ersten Oscar einbrachte. »Colette« ist Westmorelands erster Film seit Glatzers Tod im März 2015
Mr. Westmoreland, »Colette« ist ein Film, an dem Sie viele Jahre gearbeitet haben.
Das können Sie laut sagen. Vor über 17 Jahren haben wir damit angefangen, ich habe also gut ein Drittel meines Lebens damit verbracht, diesen Film Wirklichkeit werden zu lassen. Ich und mein inzwischen verstorbener Ehemann Richard Glatzer konzentrierten uns beim Schreiben auf die Ehe von Colette und Willy. Was wir im Sinn hatten, war eine Art »origin story«, über Colettes Geburt als Schriftstellerin sozusagen.
Warum haben Sie diesen vergleichsweise kleinen Ausschnitt aus Colettes Leben gewählt und nicht noch mehr erzählt?
Colette hat ein Leben gelebt, das locker für zehn Staffeln einer HBO-Serie reichen würde. Alles in einem Film unterzubekommen, war schlicht unmöglich. Ihre Künstlerwerdung erschien uns einfach wichtig – und der Moment, wo sie erstmals ein Buch unter eigenem Namen veröffentlicht, als guter Schlusspunkt. Aber ohne Frage gäbe es genug Stoff für ein wunderbares Sequel!
Darüber, ob Colettes Bücher nun Kitsch oder große Literatur waren, wurde viel diskutiert. Was ist Ihr Standpunkt?
Ich halte sie ohne Frage für eine große Schriftstellerin. Man kann in ihren Büchern mitverfolgen, wie sie sich weiterentwickelt hat, und die Arbeiten, die sie nach der Trennung von Willy verfasste, gehören für mich zur besten Literatur jener Zeit. Wer auch nur eine Seite von »Chéri« liest und danach noch behauptet, das sei keine gute Literatur, sollte sich mal untersuchen lassen.
So modern und subversiv Colettes Lebensstil war, so traditionell kommt »Colette« als Kostümfilm daher . . .
Da würde ich widersprechen. Natürlich ging es uns bis zu einem gewissen Grad um Schönheit und Opulenz, denn das machte die Zeit damals ja aus. Aber es ging uns auch um Realismus. Dafür steht sinnbildlich etwa der Zahnpastafleck, den Colette bei ihrem ersten gesellschaftlichen Event in Paris auf ihrem Kleid hat. Die Menschen, die wir zeigen, haben echte Körper, sie machen Fehler und eben auch Flecken.
Wie fiel eigentlich Ihre Wahl auf Keira Knightley als Hauptdarstellerin?
Richard und ich hatten sie das erste Mal vor vielen Jahren in »Stolz und Vorurteil« wahrgenommen, und waren davon begeistert, mit wie viel intellektueller Schärfe sie schon damals Mr. Darcy auseinandernahm. Außerdem hat sie neben dem Intellekt auch die Sinnlichkeit, den trockenen Humor und eine gewisse Bodenständigkeit. Und ein unbeugsames Rückgrat. Ich glaube nicht, dass irgendjemand Keira aufhalten kann, genauso wenig wie jemand Colette aufhalten konnte.
In den Nebenrollen tummeln sich in »Colette« allerlei Schauspieler, die nicht heterosexuell oder nicht cis-gender sind. Für einen Kostümfilm sehr ungewöhnlich, oder?
Für mich gibt es da eigentlich gar nichts mehr zu diskutieren, denn es ist essenziell, dass Kunst die Welt reflektiert, in der wir leben. Gerade Kostümfilme waren bisher eine Bastion der weißen Oberschicht, was aber nicht zwingend die Gesellschaften repräsentierte, aus denen heraus diese Geschichten geboren wurden. Deswegen war die Casting-Philosophie bei »Colette« nun: Natürlich sollen die Schauspieler spielen, aber lasst uns alle miteinschließen. Also spielen nun Trans-Männer Cis-Männer, Trans-Frauen verkörpern Cis-Frauen, eine offen lesbische Schauspielerin spielt heterosexuell und dunkelhäutige oder asiatischstämmige Darsteller sind in Rollen zu sehen, die historisch gesehen sicherlich weiß waren. Colette war eine Regelbrecherin, deswegen fand ich unseren Ansatz hier noch passender als sonst.
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