Kritik zu Yves' Versprechen
Melanie Gärtner verfolgt in ihrem Dokumentarfilm die Spur eines Migranten zurück nach Kamerun. Und stößt auf ein komplexes Netz sozialer Beziehungen
Von Marokko aus scheint Europa zum Greifen nah. Man sieht die Küste Spaniens und Gibraltars aus dem Dunst des Meeres hervorragen – ein Sehnsuchtsort für die, die an der Küste Nordafrikas darauf warten, hinüberzukommen. Einmal hat Melanie Gärtner diesen Blick in ihren Film montiert. Es ist eine schwierige Passage, wegen der Winde und der Strömungen, und viele Tausende Flüchtlinge sind bei dem Versuch gestorben, die nur 14 Kilometer breite Meerenge in kleinen Schlauchbooten zu durchqueren.
Yves hat es geschafft. Der Mann aus Kamerun kam in Spanien an, doch wurde er dort erwischt und mit dem Flugzeug wieder nach Kamerun zurücktransportiert. Doch ohne seine Familie in Douala, dem Wirtschaftszentrum des Landes, zu besuchen, machte er sich sofort wieder auf den beschwerlichen Weg nach Nordafrika. Es war die Scham, dass er es nicht geschafft hat in Europa, ein Gefühl des Versagens.
Den Film treibt die Frage um, wieso er nach seiner Abschiebung nicht in Kamerun geblieben ist, jeden Kontakt abgebrochen hat. Gärtner trifft Yves, als er zum zweiten Mal in Marokko vor seiner Passage steht. Er erzählt, wie seine Tochter in Kamerun vergewaltigt wurde und sich der Täter, den Yves verprügelt und zur Wache geschleppt hatte, freikaufte. Kamerun gehört zu den Ländern mit der höchsten Korruption weltweit. Dafür wurde Yves eingesperrt.
Seine Schwester musste ihn freikaufen. Und das macht diesen Film so ungewöhnlich: Gärtner hat Yves' Familie in Douala besucht und interviewt – die Schwester, die einen kleinen Laden hat und erzählt, dass Yves' Frau mit ihrer Tochter nun mit einem »Mann in Uniform« zusammenlebt, Yves' älteren Bruder, der an einem Busbahnhof arbeitet, aber zu wenig verdient, um es an die Familie weiterzugeben, Yves' Freund Sylvain, der einen Friseursalon betreibt und sich fragt, wer denn jetzt Yves die Haare schneidet. Yves jüngerer Bruder hat, wie es heißt, nach dem Weggang von Yves die Orientierung im Leben verloren, und der Kranke braucht dringend Geld für die medizinischen Behandlungen.
Der Film fächert die Strukturen dieser Familie auf, erzählt im Nebenbei ihre Geschichte, vom Vater, der einst seine Arbeit in einem Industriebetrieb verlor. Man merkt auch, welcher Druck auf Yves lastet, selbst wenn das nie so ausgesprochen wird. Auch beim zweiten Versuch schafft es Yves über das Meer. Er wird in Europa nie politisches Asyl bekommen, und es verschlägt ihn über Spanien nach Frankreich; er campiert unter Brücken und lebt in einem besetzten Studentenwohnheim.
Aber »Yves' Versprechen« ist nicht auf Mitleid aus. Der Film zeigt, dass es kein einzelnes Flüchtlingsschicksal gibt, sondern dass immer noch andere daranhängen, Menschen, die hoffen und bangen und lieben und fordern. Das ist der zutiefst humane Grundzug dieses Films. Über die Regisseurin nimmt Yves dann zum ersten Mal Kontakt mit seiner Familie auf, sie tauschen Videobotschaften über das Tablet aus. Und der Vater fragt: »Yves, herrscht denn Frieden, wo Du jetzt bist?«
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