Kritik zu Gottes Werk und Teufels Beitrag
Schon zweimal ist ein Roman von John Irving verfilmt worden. »Garp und wie er die Welt sah« von George Roy Hill und »Das Hotel New Hampshire« von Tony Richardson. Beide Male hatten Drehbuchautoren und Regisseure ihre liebe Not, die ausufernden Geschichten mit ihren absurden Ereignissen und wunderlichen Charakteren in eine kongeniale Literaturverfilmung umzusetzen. Diesmal hat John Irving selbst das Drehbuch geschrieben und aus seinem knapp 800 Seiten starken Roman eine erstaunlich gradlinige Filmerzählung gemacht
»Das ist nicht fair. Du bist zu alt.« Der kleine Waisenjunge kann es nicht fassen. »Ich bin der Beste!«, ruft er – vergeblich. Ausgerechnet Homer Wells, der älteste Junge im Waisenhaus St. Cloud's, seit etlicher Zeit schon heimlicher Assistent von Direktor Larch, wird offenbar von einem schönen jungen Paar adoptiert. Homer Wells verlässt die Abgeschiedenheit von St. Cloud's. Natürlich wird Homer nicht adoptiert. Dazu ist er tatsächlich zu alt. Er will nun endlich die Welt kennen lernen und sich selbst.
In »Gottes Werk und Teufels Beitrag« nach dem gleichnamigen Roman von John Irving geht es um Grundsätzliches. Breiten Raum nimmt die Frage ein, um die in den USA auch heute noch, 15 Jahre nach Erscheinen von Irvings Roman, teilweise erbittert gestritten wird: Sollen Ärzte jedes Baby auf die Welt bringen und damit »Gottes Werk« vollenden? Oder dürfen sie auch das tun, was manche als Teufelswerk bezeichnen, dürfen sie auch abtreiben? Doch in erster Linie ist »Gottes Werk und Teufels Beitrag« eine Geschichte über das Erwachsenwerden. Dazu gehört es, Verantwortung zu übernehmen, sich entscheiden zu können – vielleicht auch vorgegebene Regeln durch eigene zu ersetzen, so wie es Roman und Film in ihrem Originaltitel andeuten: »The Cider House Rules«.
Der Fabulierer und Moralist hat die Geschichte vom Erwachsenwerden des Homer Wells stark gestrafft und dabei ihre Moral um so klarer herausgearbeitet: Wenn man denn schon in diese – unfaire – Welt hineingeboren wird, ist es nicht egal, was man mit seinem Leben anfängt. Es gilt, seinen Platz zu finden, einen Platz, an dem man sich nützlich machen kann. Und so kehrt Homer Wells, nachdem er sich in der Welt (genauer gesagt, in einem kleinen Teil von Maine) umgesehen hat, nach St. Cloud's zurück – um sich dort als Arzt und Nachfolger des verstorbenen Direktors nützlich zu machen.
Als Regisseur hat sich John Irving Lasse Hallström ausgesucht. Der hat schon mit »Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa« und vor allem mit den bewegenden »Mein Leben als Hund« gezeigt, dass er ganz eigene und ungewöhnliche Geschichten des Erwachsenwerdens erzählen kann. Erneut schafft es Hallström, das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, Glücksmomenten und Katastrophen als etwas Ganzes zu zeigen, das einfach ist, wie es ist. Und so auch gut sein kann, wenn man es so liebevoll und gelassen betrachtet wie Hallström.
Irritierend an Hallströms Regie in »Gottes Werk und Teufels Beitrag« ist seine Vorliebe für die Farbe grau. Die Farbdramaturgie, die er sich zusammen mit Kameramann Oliver Stapleton (»Mein wunderbarer Waschsalon« und »Zeit der Sinnlichkeit«) ausgedacht hat, verbannt kräftige Farben fast völlig. Das mag im Sinne stoischer Weltbetrachtung einen gewissen Sinn ergeben und signalisiert dem Zuschauer: Sieh her, auch außerhalb eines Waisenhauses ist das Leben nicht immer so schön bunt, wie man es gerne hätte. Zugleich entspricht es auch Irvings Roman, der nicht eben viele Momente fröhlicher Ausgelassenheit präsentiert. Und doch legt sich so ein leicht depressiver Schleier über den Film und seinen Helden Homer Wells.
Homer Wells wird von Tobey Maguire (»Der Eissturm«) gespielt. Und das gut, so, wie Irving seinen Helden beschrieben hat: mit einem offenen Gesicht, fast zuviel Gelassenheit, die teilweise wie Trägheit wirkt, und mit einer gewissen Kaspar Hauserschen Naivität. Das Eintrittsgeld ganz allein wert ist Michael Caine als Waisenhausdirektor, Geburtshelfer und Abtreibungsspezialist Dr. Wilbur Larch. Caine spielt einen Süchtigen, einen Besessenen. Dr. Larch berauscht sich an Äther und ist besessen von der Idee, sich nützlich machen zu müssen, ganz egal wie. Ob Geburtshilfe oder Abtreibung: Hauptsache, man tut überhaupt etwas. Als vermeintlich unmoralischer Pragmatiker wird er zum Moralisten.
Wer Irvings Roman gelesen hat, wird einige Personen und einen ziemlich großen Zeitabschnitt vermissen. Homer Wells bleibt nicht 15 Jahre auf der Apfelfarm Ocean View, bekommt keinen Sohn, der später Schriftsteller wieder. Auch Melony fehlt, Homers rabiate und fast immer wütende Waisenhaus-Sexpartnerin. Und damit fehlt auch Melonys Anklage, dass »Sonnenstrahl«, wie sie Homer immer genannt hat, seine Chance in der Welt nicht genutzt, sondern – in einer heimlichen Dreierbeziehung – ein verabscheuungswürdiges, mittelmäßiges Mittelschichtleben voller Lügen geführt habe. Homer hat immer nur abgewartet, statt zum handelnden Helden seines eigenen Lebens zu werden, wie er es den Kindern im Waisenhaus so oft aus Charles Dickens »David Copperfield« vorgelesen hatte.
In der Verfilmung von »Gottes Werk und Teufels Beitrag« kehrt Homer relativ rasch von der Apfelfarm in das Waisenhaus zurück, um den Posten der Vater-Gestalt Dr. Larch zu übernehmen. Candy und Wally, die ihn aus dem Waisenhaus mitgenommen hatten, haben ihm nur für kurze Zeit Glück gebracht, denn seine Liebe zu Candy findet keine Erfüllung. Vielleicht ist die Filmgeschichte von Homer mit einer so kurzen Odyssee ein wenig zu gradlinig geworden. Und doch gibt es etwas, das mit den vielen Grautönen versöhnt und mit der überraschend schnellen Bereitschaft Homers, sich im grauen Waisenhaus nützlich zu machen: Es ist Hallströms liebevoller Blick auf die Kinder und sein Zugeständnis, doch zumindest einige Sonnenstrahlen, ganz vorsichtig, immer dann für Aufhellung sorgen zu lassen, wenn gerade mal wieder etwas sehr Trauriges passiert ist.
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