Interview mit Thomas Stuber über seinen Film »In den Gängen«
Thomas Stuber © Jörg Singer (2018)
Herr Stuber, die Kurzinhaltsangabe im Berlinale-Programm betonte, dass der Film in Ostdeutschland spielt. Haben Sie entsprechend recherchiert? Würden Sie sagen, das sieht im Westen anders aus?
Da muss ich nicht recherchieren, ich komme daher. Ich komme aus Leipzig, mein Co-Autor Clemens Meyer ebenfalls, unsere Geschichten spielen immer dort – die Verortung unserer Geschichte brauchten wir also nicht zu recherchieren, nur die Details, wie hier den Großmarkt oder das Gabelstaplerfahren.
Ihre Produzenten haben geäußert, der Film sei »nicht dokumentarisch inszeniert«. Das klang für mich ein bisschen abwertend gegenüber dem Dokumentarischen. Ich finde gerade, dass dieser Film, ebenso wie sein Vorgänger »Herbert«, eine starke dokumentarische Basis hat – man sieht ihm im besten Sinne die Recherche an, die Sie und Ihr Ko-Autor gemacht haben.
Deswegen ist es mir auch ganz wichtig, dass wir einen Spielfilm gemacht haben. Da gibt es ein Missverständnis, das hat vielleicht mit unserer Nähe zu den Figuren zu tun, mit den Kleinigkeiten, mit Details. Um einen Film zu machen, muss man recherchieren, was auch immer. Es gibt ein Fundament in der Erfahrung bei Clemens Meyer und bei mir für die Geschichten, die wir erzählen. Trotzdem ist es alles ausgedacht, alles erdacht, es geht darum, eine große Geschichte an diesem kleinen Ort zu erzählen. Die denken wir uns aus. Ich glaube, es ist ein weitverbreitetes Missverständnis: da ist nichts Dokumentarisches. Das heißt nicht, dass wir nicht genau gearbeitet haben. Clemens ist ein Romanautor, ich bin ein Spielfilmregisseur, deshalb ist alles, was wir anbieten, eine Erfindung.
Diese Genauigkeit schlägt sich vermutlich auch in der Vorbereitung, im Umgang mit den Schauspielern nieder. Wie sieht das aus?
Die Schauspieler, soweit das möglich ist, wirklich an diesem Ort sein zu lassen. Dass wir also nicht nur Gabelstaplerlehrgänge besucht haben, dass die Schauspieler einen Gabelstaplerschein gemacht haben – das ist vielleicht nur ein technisches Detail, aber doch ein ganz wichtiger Vorgang.Ich glaube sehr an das detaillierte Hineinarbeiten in die Welt einer Figur, sei das beim »Herbert« das Boxen, das Boxtraining, der Muskelaufbau. Hier habe ich die Schauspieler eingeladen, in einem Großmarkt eine Woche mitzuarbeiten, ich habe sie in die Abteilungen, in die Gänge geschickt – sie haben da quasi wie Azubis angefangen. Das ist eine Recherche, da erfahre ich selber auch ganz viel. Dann gehe ich dazu über, in den Abendstunden auch mal die eine oder andere Szene zu probieren, dabei kommen einem auch noch einmal neue Einfälle. Aber das Entscheidende ist nicht, wie wird ein Satz gesprochen, sondern: der Schauspieler steht mit beiden Beinen dort in dem Markt und weiß am Ende, worüber er redet und wie er es sagt. Er kann sich anschauen, wie die Leute miteinander reden, wie sie sich anschauen und anfassen – da kommt dann die Genauigkeit her für den Spielfilm.
Bekommen die Darsteller von Ihnen auch eine Biografie ihrer Figur? Hier ist es ja so, dass sich bei allen Figuren erst später etwas enthüllt, die Vergangenheit bei Christian, das Geheimnis bei Bruno, der Ehemann bei Marion.
Das kommt darauf an, wo das gebraucht wird – mal mehr, mal weniger. Und dann ist auch die Frage: was ist das jetzt genau? Geht es um ein chronologische Jahreszahlabfolge – das vielleicht weniger. Es geht um entscheidende Momente, das kann auch etwas ganz Kleines sein. Grundsätzlich, wenn man einen Film macht so wie wir, der mit Geheimnissen spielt, arbeitet man auch mit Auslassungen.
Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer. Sie haben Handlungsstränge hinzugefügt…
Die hat 25 Seiten, deshalb glaube ich auch, das ist keine Literaturverfilmung, was wir hier gemacht haben, weil die Arbeit genau ungekehrt ist: wir haben erweitert, wir haben neue Stränge hinzugefügt, wir haben Bögen, auch weitere Figuren erfunden. Die drei Hauptfiguren und die ganze Grundgeschichte finden sich da allerdings schon.
Dies ist bereits Ihre dritte Zusammenarbeit mit Clemens Meyer. Wie haben sie sich kennen gelernt?
Ich habe einen Kurzfilm gemacht, »Von Hunden und Pferden«, dessen Vorlage eine Kurzgeschichte von ihm war, erschienen übrigens im selben Kurzgeschichtenband wie »In den Gängen«. Der hat später den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold gewonnen. Ich war damals noch an der Filmhochschule und habe selber das Drehbuch geschrieben. Ich habe ihn dann um Erlaubnis gebeten, ob ich das so machen dürfe. Er sagte »Ja«. Ich habe ihn dann auf der Rennbahn getroffen, denn der Film spielt zu einem großen Teil dort. Clemens ist viel auf der Rennbahn und hat dann auch im Film mitgespielt, darüber haben wir uns kennen gelernt, sind auch in die Wettstube gegangen und haben Wetten platziert. Wir haben einen schönen Drehtag dort zusammen gehabt, daraus hat sich eine Arbeitsgemeinschaft und quasi auch eine Freundschaft entwickelt, woraus »Herbert«, »In den Gängen« und noch andere Sachen entstanden.
Sitzen Sie beim Schreiben zusammen oder liest und überarbeitet der eine die vom anderen geschriebene Fassung?
Wir sitzen viel zusammen, unendlich lange Treffen, man fängt an, über ganz andere Dinge zu reden, die nichts mit dem Film zu tun haben und kommt dann langsam rein.
War der Ausgangspunkt bei diesem Film eher der Ort oder die Figur von Christian?
Das ist schwer zu sagen, denn in der Kurzgeschichte ist ja schon beides da. Die Kurzgeschichte hatte für mich eine unglaubliche Tiefe, die mich hineingezogen hat in diese mir unbekannte Welt, wie so ein Märchenerzähler. Beides hat eine Balance, ich würde sagen, »In den Gängen« funktioniert nicht ohne den Ort, an dem er spielt.
Konnten Sie komplett in einem realen Großmarkt drehen oder mussten Sie etwas bauen?
Zum Bauen fehlte uns schlichtweg das Geld, das Bauen ist dabei allerdings auch weniger ein Problem als die Waren, die man für kein Geld der Welt hätte kaufen können. Der eine Markt des Films besteht allerdings letzten Endes aus drei Drehorten, zwei Großmärkten und einem leerstehenden Möbelhaus.
Wollten die Motivgeber das Drehbuch lesen, weil sie vielleicht befürchteten, die Branche werde schlecht wegkommen in diesem Film?
Natürlich wollen die das, sie kennen einen nicht und können sich das auch nicht so richtig vorstellen. Deswegen waren wir auch gezwungen, über 4-5 Wochen nur nachts zu drehen, weil tagsüber der normale Kundenbetrieb läuft. Wenn wir morgens um 6 Uhr aufgehört haben zu arbeiten, kam die Belegschaft. Nachts entsteht eine heimelige Atmosphäre, das ist anders als bei der wuseligen Tagesschicht, wo die ganze Zeit über auch Musik läuft.
»In den Gängen« hat bereits 2015 einen Drehbuchpreis erhalten. Bedeutet das, Sie haben zwei Jahre warten müssen, bis die Finanzierung stand?
Ja und nein. Ich hätte den Film schon 2016 drehen können, aber meine Tochter ist zur Welt gekommen, deswegen habe ich es verschoben.
War die schöne Verknappung, die den Film auszeichnet, schon im Drehbuch festgelegt – oder aber gab es auch Momente, die Sie noch im Schnitt verknappt haben?
Das ist schon sehr im Drehbuch angelegt, auch schon in der Kurzgeschichte, das ist etwas ganz Typisches für seine Prosa, so schreibt Clemens Meyer: er springt mit Chronologien, er hat große Auslassungen, was ich in meinen Film übertragen wollte: die Genauigkeit, das Minutiöse.
Wir haben am Anfang über den Ost-Schauplatz gesprochen. Sehen Sie sich da als jemand, der etwas ins Kino bringt, was dort eher wenig vorkommt: nicht nur die Arbeitswelt, sondern gerade die Arbeitswelt im Osten?
Da sehe ich mich erzählerisch, ebenso wie Clemens Meyer. Das ist es, was ich in eine Filmsprache zu übersetzen suche. DDR und die Wende, das ist alles erzählt, das interessiert mich nicht, was mich interessiert, ist die Post-Wende, die Orte und Lebenswelten, was an diesen Menschen und diesen Orten besonderes ist. Ich möchte den Randfiguren eine Stimme geben. Ich möchte dabei allerdings nicht Geschichten erzählen, die special interest Charakter haben, es müssen immer große, kraftvolle Geschichten sein, das muss man auch in Bangkok und New York verstehen.
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