64. Kurzfilmtage Oberhausen
Diskussionen 1968
Kurzfilmtage Oberhausen, die 64. Ausgabe. Neben dem internationalen und deutschen Wettbewerb sowie dem Muvi-Preis zeigt das Festival immer auch interessante filmhistorische Kurzfilmausgrabungen
Die Identität ist irgendwo in der Mitte. Schon 64 Jahre haben die Oberhausener Kurzfilmtage auf dem Buckel, und Lars Henrik Gass spricht bei der Festivaleröffnung über sinkende Aufmerksamkeitsspannen. Weil der Blick des Publikums heute wandert, sind gleich vier neue Sektionen am Start, die zu Kurzbesuchen einladen. Im Zentrum stehen die analoge Filmpraxis, das Kräftezerren zwischen Filmemachen und Kuratieren sowie die Kraft des Live-Filmerlebnisses im Spätkapitalismus. Letztere Reihe ist schon strukturell utopisch, die Denklinien sollen sich über drei Jahre ziehen. Der Filmemacher Mika Taanila präsentiert Variationen der Kinosituation, etwa bei der Performance »Ficciones« von Manuela de Laborde, die verdächtig an Gartenarbeit erinnert. Gefilmt von Kameras und begleitet von Musik, richtet die Künstlerin Skulpturen und Pflänzchen in Aquarien an, die nächstes Jahr dann vielleicht ausgewachsen sind. Die Schauwerte halten sich in Grenzen, aber das Weigern wird man in einem antikapitalistischen Programm nicht los.
Als Kontrastfolie zu den neuen Appetithäppchen setzt das Festival auf ein handfestes Themenprogramm. Das soll an Ursprünge und Traditionslinien erinnern, gerät aber etwas ins Fahrwasser der vielen 68er-Hommagen des Kulturjahres 2018. Der Filmwissenschaftler und Filmemacher Peter Hoffmann präsentiert in acht Programmblöcken den »Abschied vom Kino«. Kurz gesagt sind hier formpolitische Filme aus dem Dunstkreis der Hamburger Linken zu sehen, die Mitte bis Ende der 60er Jahre entstanden, während einigen Jahren der feurigen Selbstorganisation und Produktion eines unabhängigen Kinos in Deutschland. Da ging es um Identitätsfindung, Experiment und Provokation, um eine besondere Filmpraxis, die im Begriff des »Anderen Kinos« mündete. Inspiriert von den Vorreitern in den USA, der New York Film-Makers' Cooperative, gründen sich außer in Hamburg auch in London, Neapel, Wien und Paris ähnliche Zusammenschlüsse von unabhängigen Filmemachenden, die, inspiriert von Politik und Avantgardekunst, nach einer neuen Filmsprache suchen. Die Hamburger Filmmacher Cooperative als besonderer Fall bestand, verglichen mit anderen Initiativen, nur über kurze Zeit hinweg.
Hoffmann hat Filme ausgegraben, die heute unsichtbar sind. Bei einem Programmblock erzählt er, wie selbst einige der Filmemachenden nun Neuentdeckungen erleben. Denn wer könne sich schon daran erinnern, bei welchen Filmen er damals dabeigewesen sei. Manche spielten neben eigenen Arbeiten hier und da mit. Einige arbeiteten nur kurz am Film und wollten dann doch auf die Straße. Andere gingen zurück in die Kunst, aus der sie eigentlich kamen. Kopien wurden kaputtgespielt, etwa bei Werner Nekes' »Bogen« (1967) aus voller Absicht heraus. Es waren Querköpfe am Werk, vor allem Kerle. Im Zuge der ersten Hamburger Filmschau gibt es eine hanebüchene Aktion, aus der der Film »Olympisches Feuer« entsteht: Egon Teske, Hartmut Schubert und Günther Koch reisen zu den Winterspielen nach Grenoble, überwinden die Sicherheitskräfte des Stadions und zünden sich am sportlichen Feuertopf eine Zigarre an, deren Flamme über diverse Tabakwaren bis nach Hamburg reist, um dort zur Initialzündung des Hamburger Filmuntergrunds zu werden. Ein eindrucksvoller Schnurri steht im Zentrum, stets umringt von Rauchschwaden.
Ein Programm widmet sich der Provokation. Zwei Filme von Irm und Ed Sommer drehen sich um harte Aktionen der Wiener Aktionisten Günter Brus und Hermann Nitsch, dann folgt die Zerstückelung einer Katze in Rolf Thissens »Warum Katzen?«. Der Katzenfilm versteht den Agitationsbegriff falsch. Hoffmann findet in seinem Männerprogramm keinen Umgang mit feministischen Fragen. Das Ganze bleibt ein wenig inselhaft. Aber die Streitpunkte aus der Zeit funktionieren, man darf sich wundern und ärgern. »Ich bin schnell«, behauptet Günther Sahms Film »5 B« und feuert eine rastlose Abfolge von Welteindrücken auf die Menschen ab. Er war seiner Zeit voraus.
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