Kritik zu Meine Tochter – Figlia Mia

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Bereits mit ihrem Spielfilmdebüt »Vergine giuarata« (Sworn Virgin) war die italienische Regisseurin Laura Bispuri 2015 im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Dort feierte auch ihr zweiter Film Premiere, wieder mit Alba Rohrwacher in der Hauptrolle und wieder ganz auf seine weiblichen Figuren konzentriert

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Sardinien kann sehr heiß sein, im Sommer. Und staubig und windig und so grell, dass man meint, die machina di presa, mit der man hier filmt, könne kollabieren. Alles wird schwer, ein bisschen todessehnsüchtig, zeitlos und mythisch. Dies ist eine sardische Geschichte. Man könnte meinen, es sei die Geschichte eines Mädchens mit zwei Müttern. Aber der Film heißt »Figlia mia, Meine Tochter«.

Es sind noch zwei Wochen bis zu Vittorias (Sara Casu) zehntem Geburtstag. Auf einem Rodeo-Fest wird sie zufällig Zeugin, wie sich Angelica (Alba Rohrwacher), als Schnapsdrossel und Dorfhure verschrien, von einem nicht besonders attraktiven Mann begrapschen lässt. Irgendwie wird sie das Bild nicht mehr recht los. So kehrt sie zu ihrer fürsorglichen Mutter Tina (Valeria Golino) zurück, die ihr Mädchen innig liebt, das sie einmal stolz »folgsam« nennt.

Nach und nach stellt sich heraus, dass nicht Tina, sondern Angelica Vittorias leibliche Mutter ist (als wäre das nicht sogleich am außenseiterroten Haar zu erkennen). Angelica erhält von Tina und ihrem Mann Umberto Geld, damit sie sich von Vittoria fernhält. Und zwischen der Bar und flüchtigen sexuellen Beziehungen und ihrem etwas verwahrlosten, aber irgendwie funktionierenden kleinen Anwesen scheint sie auch auf gehöriger Distanz. Aber dann wird Angelicas kleiner Pferdehof gepfändet, sie muss über 28 000 Euro zahlen, die Summe können weder sie noch Tina aufbringen. So wird sie wohl die Tiere verkaufen müssen und wie so viele die Insel verlassen und auf dem Festland neu anfangen. Bevor sie geht, möchte sie noch einmal Vittoria sehen, und damit nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Vittoria infiziert sich an der wilden Art ihrer »wirklichen« Mutter, sie mag nicht mehr das brave Mädchen sein. Angelica will doch um ihre Existenz auf der Insel kämpfen und schlägt die Fahrt »auf den Kontinent« aus. Und es beginnt ein böser Kampf der beiden Mütter: Die eine will mit Vittorias Hilfe an einen in der Nekropolis, der Stadt der Toten, vermuteten Schatz, wozu das Mädchen schließlich durch eine enge Felsspalte kriechen muss, um, ein bisschen überdeutlich, noch einmal geboren zu werden. Die andere klammert und lockt mit einem Fest zum Geburtstag, komplett mit nicht weniger überdeutlichem rosa Gebäck und bürgerlichem Glück. Beide Mütter sind von Überlebenskampf und Selbstsucht verblendet, man kann sie (wie alle Mütter, sagt Angelica einmal,) durchaus auch als Hexen ansehen.

Die eine Mutter, die trinkt und flucht, die sich Gefahren und der Natur aussetzt, Alba Rohrwacher, scheint buchstäblich unbehaust in der eigenen Haut, die andere Mutter, die in einer Fischfabrik arbeitet und die Familie versorgt, Valeria Golino, wirkt wie gepanzert eingehüllt und an die Innenräume gefesselt. Das Mädchen, Sara Casu, das seine Befreiung im Triumph über beide Mütter erleben wird, wirft am Ende das Kinderkleid ab. Häutungen eben. Wenn der Film wieder einmal unter seiner Metaphernschwere und hier und da dem Klischee nahender Überdeutlichkeit leidet, dann reißen dies die drei Schauspielerinnen immer wieder heraus.

Die melodramatische Geschichte wird ständig gespiegelt in Natur- und Tiermetaphern. Das beginnt mit den wilden Pferden, die keine Reiter dulden, führt über Ange­licas ruppige Zärtlichkeit dem todgeweihten Schwein und der schwangeren Hündin gegenüber, über die Fische und die Aale, die endlos reisen, um ihren Nachwuchs zu hinterlassen, der selbst den Weg ins heimische Meer finden muss, über Plüschtiere und ­eine Schildkröte im Bett schließlich zurück zu den Pferden, die ein besonders böser Udo Kier mit heftig deutschem Akzent von ­Angelicas Hof holt.

Vielleicht ist es ein Satz von Umberto, der dem Ganzen mit verzweifelter Ruhe zusieht, was die beiden Ebenen zusammenhält: »Die Leute sagen, bei den Menschen ist alles kompliziert, aber in der Natur ist alles einfach. Aber manchmal ist auch die Natur sehr kompliziert.«

Diese zweite weibliche Befreiungsgeschichte der Regisseurin, nach »Vergine giurata« (2015), wo ebenfalls Francesca Manieri am Drehbuch beteiligt war und der aus Bosnien stammende Vladan Radovic die Kamera führte (wie Laura Bispuri ein Meister einer neuen italienischen Düsternis), ist, nach den Gesetzen des psychologischen Realismus betrachtet, sowohl überzeichnet als auch überladen. Die Story bricht förmlich unter ihren Metaphern- und Drastik-Beiladungen zusammen und muss an Bruchstellen mit verwegenen emotionalen Übersprüngen und mit poetisch verschraubten Dialogen, – mehr Literatur als Kunst – verbunden werden. Besonders im letzten Drittel überschreiten die melodramatischen Zuspitzungen das sogenannte Glaubwürdige. Aber man kann den Film ja auch ganz anders sehen, wie ein modernes Märchen, wie ein schwermütiges Lied (zu dem eine twangige Gitarre als Soundtrack immer wieder ansetzt), wie eine feministische Relektüre des sardischen Mythos. Dann sieht man nicht nur zwei Mütter, dramatisch genug nebeneinander gestellt – Erfahrungshunger und Anpassung, wilde Hexe, brave Hausfrau – sondern auch zwei Verkörperungen der Insel, aus der Vittoria, die Siegreiche, buchstäblich und aus der Stadt der Toten neu geboren werden muss, um einen eigenen Weg zu finden. Die geschundenen Mütter können ihr nur noch schwer folgen. So will es das letzte, starke Bild.

Schließlich kann man »Figlia mia« auch als filmische Meditation über den schwierigen Begriff Mutter oder den noch schwierigeren Begriff Tochter begreifen: voller Zitate, Anspielungen und Symbole, zwischen Bibel und Brecht, Mythos und Materialismus und eben Kultur und Natur. Das alles findet nicht immer zur Balance, manchmal kollidieren Bilder mit einem unwiderstehlichen Sog von sperrigen Behauptungen, manchmal ärgert man sich darüber, dass die Regisseurin ihren Zuschauerinnen und Zuschauern so wenig Freiheit lässt, manchmal drückt es doch zu bleiern und man sehnt sich nach einer Portion leggerezza wie nach einem Sprung ins kühle Wasser von den Hitzefelsen. Aber dann packt es einen wieder. Der magische Realismus des italienischen Inselfilms, der schon immer an die Wurzeln des Menschseins wollte. Als wären hier Anfang und Ende zugleich zu finden. Größte Verschmelzung und größte Entfremdung. Mütterlichkeit und Befreiung davon.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ein wunderbarer Film mit einer herausragenden Alba Rohrwacher.

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