Takashi Miike: Verwildertes Metakino

»Blade of the Immortal« (2017). © Ascot Elite

»Blade of the Immortal« (2017). © Ascot Elite

Der japanische Regisseur Takashi Miike ist gerade mal 60, soll aber schon hundert Filme auf dem Konto haben. In der poppigen und zugleich ein wenig buddhistischen Manga-Adaption »Blade of the Immortal« zieht er wieder alle Register. Das Porträt eines Ruhelosen

Takashi Miike ist eine Legende des postmodernen japanischen Kinos. Einhundert Filme sollen bis heute auf sein Konto gehen, und noch immer arbeitet der fast 60-Jährige mit einer Wut und Energie, als gelte es, seinen einstigen Status als »junger Wilder« jährlich zu aktualisieren. Allein 2001 drehte er acht Spielfilme. Dabei hat er nicht nur einen wiedererkennbaren Stil des audiovisuellen Exzesses kultiviert, sondern auch unterschiedlichste Genreströmungen verfolgt. Von Beginn an inszenierte er Yakuza-Gangsterfilme, überdrehte Komödien, drastische Splatterhorrorfilme und später nahezu klassische Jidai-geki – die legendären Historiendramen, für die Akira Kurosawa bekannt war. Der Filmkritiker Tom Mes bezeichnete Miike in seiner Werkmonografie ganz direkt als Agitator – nach dem Titel eines seiner Gangsterfilme. Bis heute fordert Miike die Grenzen des japanischen und des Weltkinos beharrlich heraus und erfindet das Genrekino aus seinen Ruinen neu – so auch in dem mangabasierten aktuellen Samurai-Fantasy-Mix »Blade of the Immortal« (2017).

»Blade of the Immortal« (2017). © Ascot Elite

Die Ästhetik des Mangas war stets der Schlüssel zu Miikes Werk. Es begann mit einem Comicstrip für Erwachsene: Sein früher Film »Fudoh: The New Generation« (1996) erzählt von einem aufstrebenden jungen Yakuza, der mit bizarren, blutrünstigen Mitteln gegen seinen despotischen Vater antritt. Die groteske Gewaltorgie faszinierte und irritierte das Publikum damals, konnte sich jedoch zunächst nicht auf dem europäischen Filmmarkt durchsetzen. Zu schwer verdaulich schien die Mischung aus modernem Samurai-Märchen, Massaker und blanker Obszönität. Doch schon hier zeigte der junge Regisseur, was er mit einem minimalen Budget vollbringen kann. Wenn das Budget nicht ausreichte, füllte er die Lücken mit ausgeklügelten Schocks und Obszönitäten. Die Undergroundfilm-Community war entzückt. Miikes »Dead or Alive«-Trilogie (1999–2002) knüpfte mit internationalem Erfolg direkt an dieses Konzept an und übersteigerte die Konventionen des Cop-Actionthrillers bis in die Science-Fiction hinein. Die Rock- und Popkultur lieferte den Impuls zu einem bunten Bilderrausch zwischen Cyberpunk und Psychedelic Porn.

Geboren 1960 in Yao /Ōsaka, schloss Miike zunächst ein Studium an der privaten Filmakademie in Yokohama ab. Die nützlichsten Erfahrungen zur Filmpraxis habe er jedoch beim Genuss von Kung-Fu-Filmen gesammelt, betont er in Interviews – ein Einfluss, der gerade heute deutlich wird. Bei zahlreichen Direct-to-Video-Produktionen arbeitete er als Regieassistent, bevor er Anfang der neunziger Jahre selbst ins Regiefach wechselte. Dabei begnügte er sich mit einem geringen Budget und einem knappen Zeitplan, scheute auch nie vor drastischsten Stoffen zurück. Zugute kam ihm die Tatsache, dass er im kleinen Rahmen die volle künstlerische Kontrolle über sein Werk besitzt.

Außergewöhnlich war der bereits zu Beginn seiner Karriere gedrehte verstörende Psychothriller »Audition« (1999). In heilloser Verwirrung der Realitätsebenen ließ Miike seinen Protagonisten erst dann des eigentlichen Grauens einer erotischen Beziehung gewahr werden, als dieser bereits verloren war. Geschickt spielte Miike hier japanische Geschlechterkonzepte gegeneinander aus. Sein Kino ging bereits damals unter die Haut des Publikums, verband eine Art magischen Realismus mit drastischem Körperhorror und surrealem Humor.

»13 Assassins« (2010). © Ascot Elite

2004 entstand sein Zeitreise-Samuraifilm »Izo«, der in der Edo-Ära, der Zeit der Samurai, beginnt. Erst 2010 besann sich Miike auf die ernsthaften Wurzeln des Jidai-geki-Genres und knüpfte mit zwei Remakes an das klassische japanische Kino an: Während sich der erfolgreiche »13 Assassins« (nach Eiichi Kudôs Film von 1963) an der Tradition des reinen Schwertkampffilms orientierte, mit seiner abenteuerlich kombinierten Gruppe von Ronins (herrenlose Samurais) und langen Actionsequenzen, konnte der folgende »Hara-Kiri« (2012, das Remake eines Schwarz-Weiß-Klassikers von Masaki Kobayashi aus dem Jahr 1962) eher als meditative Hinterfragung des Ehrenkodexes der Samurais bezeichnet werden. Statt auf blutige Kämpfe konzentriert sich Miikes Inszenierung hier auf ausführliche Rückblenden und lange Dialoge. Die sorgfältige Farbdramaturgie mit liebevoller historischer Ausstattung geriet ihm dabei zu einem effektiven Spiel dieser Themen und Emotionen.

In seinem aktuellen Film »Blade of the Immortal« kombiniert Miike erneut den klassischen Schwertkampffilm mit Elementen der Popkultur und des Splatterkinos. Der Protagonist Manji ist ein legendärer Samurai, auf dem der Fluch der Unsterblichkeit lastet. Im Kampf gegen das Böse will er seine Seele zurückerlangen. Und so hilft er auch dem Mädchen Rin, dessen Eltern zu rächen, die von einer Gruppe Schwertkämpfer getötet wurden. Statt auf die Statik von Kurosawas Schwert-Epen oder seinem eigenen »Hara-Kiri« setzt Miike, wie schon in »Izo«, auf eine am Hongkong-Kino geschulte Dynamisierung des Raums durch die Choreographie der entfesselten Körper. Wie im Kung-Fu-Film fliegen die Gegner durch die Luft, und wie im artistischen Hongkong-Kino nimmt es der Held gleich mit einer Hundertschaft an Kriegern auf. Im ganzen Film tötet er fast 250 Gegner. Im Zuge der Comicvorlage handelt es sich also um ein Fantasy-Konzept, das die traditionellen Formen des Jidai-geki benutzt, um verspieltes Pop-Kino daraus zu generieren, das mit elektronischen Beats den Sehgewohnheiten eines durch US-Comic-Verfilmungen geschulten Publikums entgegenkommt. Obwohl bei Miike literweise Blut verspritzt wird, zielt die Inszenierung nie auf eine existenzielle Ernsthaftigkeit des Geschehens ab, sondern versteht sich als verwildertes Metakino: Miike lässt sich wie in seinen Filmen zuvor von den Traditionen des Kinos befeuern, eignet sie sich auf eine verquere Weise an – und codiert sie neu, um sie einem zeitgenössischen Publikum schmackhaft zu machen.

»Blade of the Immortal« (2017). © Ascot Elite Home Entertainment

Manji heißt im Japanischen das Hakenkreuz in seiner linksgewinkelten Variante. Das Symbol bezeichnet auf Landkarten die Lage buddhistischer Tempel, denn es steht für die Wiedergabe und Kontinuität der Buddha-Natur. In dem sehr detailreich gestalteten Manga von Hiroaki Samura, der »Blade of the Immortal« zugrunde liegt, ziert das buddhistische Hakenkreuz die Jacke des Protagonisten und stellt ihn so in den zyklischen Kreislauf von Werden und Vergehen. Die Unsterblichkeit ist seinem Namen somit eingeschrieben. In der deutschen Version wurde das Symbol verändert, um Missverständnisse zu vermeiden, und im Film verzichtet Miike gleich ganz auf diesen Verweis, obwohl sich das Symbol in Japan noch heute größter Popularität erfreut. Allerdings wird es hier durch ein Schriftzeichen ersetzt.

Dabei ist die Unsterblichkeitsthematik durchaus zutiefst buddhistisch aufgeladen, die poppige Inszenierung lenkt davon nur stellenweise ab. Miike achtet sorgfältig darauf, die kulturelle Identität seiner Fabel und deren spirituelle Implikationen nie ganz preiszugeben. Was wie ein postmodernes Spiel anmutet, ist bei Miike ein geschicktes Changieren auf mehreren Ebenen, denn er gestaltet seinen Film bewusst so, dass dieser ein älteres Publikum an den klassischen Chambara (Schwertkampffilm) erinnert und ein jüngeres an die amerikanischen DC- und Marvel-Helden. Mit der jungen Rin hält er zudem eine jugendliche Identifikationsfigur bereit. Diese Form der Mehrfachcodierung ist typisch für Miikes Filme; sie lässt ihn in Japan als Variante von Quentin Tarantino erscheinen: aus dem Kino geboren, um dessen Unsterblichkeit zu garantieren.

Takashi Miikes hundertster Film beweist, dass sein Regisseur noch lange nicht am Ende seiner künstlerischen Energie angelangt ist und mit einer wilden Frische dreht, die man eher von einem Newcomer erwarten würde.

 

 

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