TV-Tipp: »Der gleiche Himmel«
Die deutsch-deutsche Teilung ist in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Sujet im deutschen Fernsehen geworden. Im Dreiteiler »Die Wölfe« (ZDF) erzählten Christoph und Friedemann Fromm 2009 die Geschichte einer Berliner Jugendgang, die sich in den Nachkriegsjahren gründet, 1961 durch den Bau der Mauer auseinandergerissen wird und sich nach der Wiedervereinigung bei einer Hochzeit überraschend wiederfindet. In der Serie »Weissensee« (ARD) von Annette Hess und Friedemann Fromm stand eine Ostberliner Familie im Mittelpunkt, die zu den Hundertprozentigen gehört: Der Vater und der ältere Sohn arbeiten für die Stasi, der jüngere Sohn ist Volkspolizist und verliebt sich ausgerechnet in die Tochter einer Regime-Gegnerin: Romeo und Julia im Stasiland. In »Deutschland 83« (RTL) schickten Anna Winger und Edward Berger den jungen NVA-Soldaten Martin Rauch als Spion in den Westen, der in Bonn die Pläne der Nato auskundschaften soll. Buchstäblich im letzten Moment gelingt es dem James Bond aus dem Osten nach einigen waghalsigen Stunts, den Dritten Weltkrieg zu verhindern.
Mit »Der gleiche Himmel« erzählen Paula Milne (Buch) und Oliver Hirschbiegel (Regie) ebenfalls eine deutsch-deutsche Geschichte, diesmal in den 70er Jahren: Tom Schilling spielt den jungen Stasi-Agenten Lars Weber, der als Romeo in Westberlin auf eine Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes angesetzt wird. Doch während Martin Rauch im Bonn der 80er Jahre schnell in Lebensgefahr gerät und beinahe von einer chinesischen Agentin ermordet wird, zieht sich das Liebesgeflüster von Lars Weber im Berlin der 70er etwas zäh in die Länge, zumal es einen tragischen Zwischenfall mit der ersten Zielperson gibt und schnell ein zweites Objekt gefunden werden muss. Nun kommt Sabine Cutter ins Spiel, eine Frau, die deutlich eher in Lars' Alter ist und – so warnt sein Führungsoffizier – deutlich mehr »mitten im Leben steht«, also schwerer zu erobern ist.
Lars muss erst einmal Opernaufführungen und avantgardistische Kunstperformances durchstehen. Auch die jeweilige Lektüre ist ein wichtiges Gesprächsthema: »A tale of two cities« oder »The waste land« – hier ist alles symbolisch aufgeladen. Und noch bevor der erfolgreiche Herzensbrecher die erste brisante Information weitergeben kann, ist der Dreiteiler schon an seinem Ende angelangt.
Schon klar, während es in »Deutschland 83« um Action für ein junges Publikum ging, stehen in »Der gleiche Himmel« Verführung und Liebesverrat im Mittelpunkt. Und bei Frauen dreht sich nun mal alles um Emotion, das hat der junge Romeo schon in der Stasi-Schule gelernt, wo er sich durch seine schnelle Auffassungsgabe und seine intimen Kenntnisse der weiblichen Psyche so hervorgetan hat, dass man ihm trotz seines jugendlichen Alters eine so wichtige Mission zutraut.
Tom Schilling macht sich gut in der Rolle des scheinbar sensiblen und zugleich so berechnenden Verführers. Sein hübsches, noch immer kindlich wirkendes Gesicht bietet weiblichen Sehnsüchten viel Projektionsfläche und ist zugleich das ideale Pokerface, das keine Gefühle erkennen lässt.
Im Westen erhält Lars Weber seine Anweisungen von Ralf Müller, einem skrupellosen Draufgänger, dem das Bespitzeln anderer Menschen gewissermaßen zur zweiten Natur geworden ist. Müller sieht und hört alles und kann durch die Wanzen, die er strategisch in der Wohnung der Zielperson und bei Weber installiert hat, auch mitverfolgen, in welchem Stadium sich die Beziehung gerade befindet. Ben Becker gibt diesen gewieften Überwachungstechniker als bulligen Handwerker, der den ganzen Tag im Lieferwagen unterwegs ist und sein Schäfchen nie aus den Augen verliert. Während Lars im Westen die Frauen becirct, wird seine Kusine Klara im Ostteil der Stadt in den Schwimmkader aufgenommen und trainiert für Olympia. Ihre Mutter Gita erkennt, welche Chancen sich der Familie damit eröffnen: »Westgeld, Reisen, neues Auto.« Dafür nimmt sie sogar in Kauf, dass Klaras Körper sich wegen der speziellen, vom Trainer verordneten »Diät« und der von ihm verabreichten Pillen verändert: Dem Mädchen wachsen Haare auf der Brust und dem Rücken.
Auch Lars' Vater Gregor Weber ist ein Stasi-Mitarbeiter aus Überzeugung, einer, der es eigentlich gut meint mit seiner Spitzeltätigkeit im Betrieb und in der Nachbarschaft. Er liebt sie ja alle, die Kollegen und Nachbarn und will doch nur, dass sie nicht vom rechten Weg abkommen. Jörg Schüttauf stattet diesen Gregor Weber mit einer gewissen Rechtschaffenheit aus, die für ihn einnimmt. Als er einen jungen Kollegen als Informanten anwirbt, ist ihm das Unbehagen darüber anzumerken, dass der andere in seinem Übereifer bereit ist, die ganze Familie wegen ein paar dummer Witze ans Messer zu liefern.
Doping und der Leistungsdruck im DDR-Sport, Verrat, Spionage und ständige Überwachung im Westen wie im Osten – es sind viele Themen, die Hirschbiegel und Milne in diesem Dreiteiler auffächern. Hinzu kommen noch Homosexualität und Fluchtpläne von DDR-Bürgern, die in einem Tunnelbau gipfeln, sowie eine schwierige Mutter-Sohn- Beziehung im Westen. Ganz zu schweigen von den Familiengeheimnissen, die sich bereits in der ersten Folge andeuten und zu einer Tragödie griechischen Ausmaßes auswachsen. Diese Produktion will von allem zu viel, und erzählt alles überdeutlich, das schlägt sich auch in der Ausstattung nieder: die taillierten Hemden der Männer, ihre Koteletten und Schnurrbärte erinnern an Kataloge der 70er Jahre. Die viel zu schicke Wohnung, in die Lars Weber im Westen zieht, sieht aus, als hätte die Redaktion von »Schöner Wohnen« sie damals eingerichtet.
Vor lauter Verweisen und Zitaten kommt die Geschichte nur schwer in die Gänge. Denn am Ende des dritten Teils ist gerade mal die Exposition erzählt, nun erst kann die Tragödie ihren Lauf nehmen. So gesehen ist »Der gleiche Himmel« eine Mogelpackung. Vollends absurd sind die Text-Inserts am Schluss des dritten Teils: »Lars und Sabine wissen nicht, dass sie Geschwister sind.« Als vertraue der Film der eigenen Erzählung nicht und wolle damit auch denjenigen, die nicht richtig aufgepasst haben, die Tragweite des Geschehens deutlich machen. Die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung bietet reichlich Stoff für Filme. Je mehr Menschen in Deutschland heranwachsen, die die Mauer nicht erlebt haben, desto häufiger wird man davon erzählen müssen. Doch in Zukunft wäre es schön, wenn die Filmemacher dabei auf überflüssige Inzestmotive verzichten würden. Die Geschichte ist an sich schon tragisch genug.
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