Interview mit Olivier Assayas über seinen Film »Personal Shopper«
Olivier Assayas und Kristen Stewart am Set von »Personal Shopper« (2016). © Carole Bethuel
Monsieur Assayas, in »Die Wolken von Sils Maria« verkörperte Kristen Stewart die persönliche Assistentin eines französischen Filmstars, der von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht wurde. In »Personal Shopper« erledigt sie die Modeeinkäufe für ein Model und nimmt Kontakt mit ihrem verstorbenen Bruder auf. Hat Sich Ihr neuer Film direkt aus dem vorangegangenen entwickelt?
Assayas (überlegt): Bewusst oder unbewusst ist es definitiv eine Weiterentwicklung. Eigentlich sollte ich nach »Die Wolken von Sils Maria« einen ganz anderen Film drehen, einen Genrefilm in Kanada, ein »True Crime«-Stoff, der dann abgesagt wurde, weil er zu teuer gewesen wäre. Wir verloren unseren Geldgeber buchstäblich einen Tag vor Drehbeginn. In dieser Situation musste ich schnell etwas Neues finden, anders wäre das nicht auszuhalten gewesen: entweder etwas, das in eine ähnliche Richtung ging oder aber etwas, das sich stark unterschied von dem, was ich zuvor gemacht hatte – oder aber ich folgte der Dynamik, die sich beim Schreiben entwickelte. Genau das tat ich. Offensichtlich hätte ich die Figur von Maureen, die im Film von Kristen Stewart verkörpert wird, nicht schreiben können ohne den vorangegangenen Film. Ich habe Kristen Stewart gewissermaßen während unseres ersten gemeinsamen Drehs entdeckt – ich war natürlich glücklich mit der Tatsache, dass sie Teil des Ensembles war, habe aber erst während des Drehs gemerkt, wozu sie in der Lage ist. Ich hatte den Eindruck, dass sie viel weiter gehen könnte, als es ihre Rolle verlangte, wenn man ihr den notwendigen Raum und die entsprechende Freiheit gibt.
Der Film entglamourisiert diese Figur, aber auch die Schauspielerin. Das verbindet sich mit einem Paradox: ihre Tätigkeit ist im Umfeld der Modeindustrie angesiedelt, aber ihr Outfit eher schlicht.
Genau, der Film erzählt von der Spannung zwischen einem entfremdeten Tagesjob und den Träumen, die jemand hat. Wenn sie diese Geschichte in so einem Umfeld des Luxus ansiedeln, wird der Kontrast umso brutaler. Zugleich gefiel mir diese Figur, die versucht herauszufinden, was sie will und sich dabei auch mit ihrer eigenen Weiblichkeit auseinandersetzen muss, etwas, das sie nicht kontrollieren kann.
Hatte Kristen Stewart angesichts der Tatsache, dass diese Figur so anders ist als jene, die sie in ihren meisten amerikanischen Filmen verkörpert hat, Anpassungsschwierigkeiten?
Nein, gar nicht. Das Entscheidende ist der Raum und die Freiheit, die man einem Schauspieler gibt. Ich hatte den Eindruck, das hat ihr an »Die Wolken von Sils Maria« gefallen. Dabei begriff sie auch, dass sie weiter gehen konnte als in ihrer bisherigen Arbeit. Amerikanische Filme gewähren ihren Schauspielern nicht diese Art von Raum, dafür sind sie zu kontrolliert. Sie merkte also, dass sie bei einem unabhängigen europäischen Film Sachen über sich und über ihre Schauspielkunst entdecken konnte, die sie bisher nicht kannte. Ich musste sie in keinster Weise ermutigen – sie war mir immer einen Schritt voraus.
Bedeutet »einem Schauspieler Raum geben«, dass er die eigene Figur selbständig erforschen und ausarbeiten kann?
Das hat zwei Aspekte: amerikanische Schauspieler arbeiten gern in europäischen Filmen, weil ihr Raum im Hollywoodkino immer mehr schrumpft. Der Einfluss von Marketing-Abteilungen und Anwälten wird immer größer, die Schauspieler werden in Rollenkorsetts gezwängt, die es ihnen nicht erlauben, ihr Potenzial zu entfalten, während das europäische Kino ihnen das ermöglicht. Was Kristen Stewart anbelangt, empfinde ich es als Privileg, dass ich an einem bestimmten Moment in ihrer Karriere mit ihr arbeiten konnte – einem Moment, wo sie sich selber entdeckte.
Wie verhält sich die Idee, dass die Protagonistin versucht, Kontakt mit ihrem toten Bruder aufzunehmen, zu ihrer eigenen Identität?
Das war für mich eine Weiterführung der Ausgangsidee. Diese Frau arbeitet am Rand der Modeindustrie, ist gewissermaßen das Lumpenproletariat der Modeindustrie. Warum nicht den Traum, in eine ganz andere Welt zu entkommen, wörtlich nehmen? Ich erinnerte mich an eine Freundin, die diese Gabe hat, die in San Francisco lebt und dort Häuser daraufhin untersucht, ob es dort Geistererscheinungen gibt. Als ich mich damit beschäftigte, begriff ich mehr und mehr, was es war: jemand versucht Kontakt herzustellen mit etwas, das unsichtbar ist.
Sie balancieren dabei zwischen Fiktion und Fakten. So beziehen Sie Victor Hugos Protokolle seiner spiritistischen Sitzungen mit ein.
Die Tatsache ist bekannt, aber vollständig veröffentlicht wurden sie erst vor wenigen Jahren. Die lesen sich erstaunlich modern, so als seien sie im 20. Jahrhundert geschrieben worden. Ich würde soweit gehen, dass sie vielleicht seine beste literarische Arbeit sind. Die Trance, in die er sich dabei versetzt hat, inspirierte seine nachfolgenden Arbeiten in hohem Maße.
Sie beziehen auch die vergessene Künstlerin Hilma af Klint (1864-1944) mit ein, die sich unter dem Einfluss des Spiritualismus Anfang des 20. Jahrhunderts der abstrakten Malerei zuwandte…
Die wird jetzt gerade neu entdeckt, nachdem sie hundert Jahre lang vergessen war. Durch eine große Ausstellung in Stockholm 2013 wurde sie plötzlich ins Rampenlicht gerückt.
Sie lieben aber auch die Fiktion, wie man an der eingefügten Fernsehdokumentation über Victor Hugo sehen kann. Die wurde nämlich von Ihnen selbst gedreht und der Schriftsteller wird darin von dem Musiker Benjamin Biolay verkörpert. Noch realer wirkt allerdings eine Fernsehdokumentation, in der es ein Gespräch zwischen einer Kunstwissenschaftlerin und einem Theologen gibt.
Die hat es gegeben, allerdings gibt es davon keinen Tonmitschnitt, nur ein Transkript, das in dem Ausstellungskatalog abgedruckt wurde. Mit diesem Dialog habe ich das Gespräch nachgestellt.
Darin ist auch das berühmte Standfoto von einer spiritistischen Sitzung aus Fritz Langs »Dr. Mabuse, der Spieler« zu sehen…
Das allerdings habe ich selber eingefügt, da kann ich meine Cinephilie nicht verleugnen.
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