Kritik zu The Eyes Of My Mother
Horror für Erwachsene: Der 26-jährige amerikanische Regisseur Nicolas Pesce begeht in seinem Debütfilm eine fesselnde Gratwanderung zwischen dem Schönen und dem Schrecklichen
Das Messer im Fleisch macht ein schmatzendes Geräusch. Schlösse man die Augen, man könnte es auch für das Geräusch von Geschlechtsverkehr halten. Zumal da noch dieses schwere Atmen ist, dieses Stöhnen und Keuchen, lustvoll-angestrengt hört es sich an, dann wieder schmerzerfüllt. Zwei Stimmen fließen ineinander, zwei Körper halten einander umklammert. Und ja, flüstert die Frau dem Mann schließlich ins Ohr, es fühle sich großartig an. Der Mann, blind und stumm und verletzt, war auf der Flucht. Vom Küchenfenster aus hat die Frau ihn den Hang hinaufstolpern sehen, ein großes Messer aus der Schublade gezogen und ist ihm gefolgt. Sie lässt ihn nicht entkommen.
Es ist nicht der erste Tod in diesem Film, es ist auch nicht der erste Mord. Es ist nur der erste, der sich vor unseren Augen vollzieht, die vorangegangenen bleiben außerhalb des Kaders und der Fantasie überlassen. Dass nun die Ohren einen sexuellen Akt vernehmen können, wo die Augen eine Bluttat sehen, bestätigt die narrative Strategie, derer sich Nicolas Pesce in seinem ziemlich erstaunlichen Debütfilm »The Eyes of My Mother«, im vergangenen Jahr auf dem Sundance Film Festival uraufgeführt, bedient.
Pesce, der auch das Drehbuch schrieb, vertraut auf die Vorstellungskraft seines Publikums, er verlässt sich auf dessen Zutun, um die Ellipsen zu füllen, mit Hilfe derer er erzählt. Weniger wie ein Geschichtenerzähler als vielmehr wie einer, der in einem grobmaschigen Netz eine Ahnung von einer Geschichte einfangen will, oder deren Geist. Geredet wird nicht viel. Dem Sounddesign und der Musik kommen daher umso größere Bedeutungen zu. Pesce schlägt weite Bögen und lässt großzügige Leerstellen, er kennt sich gut genug aus mit den Mechanismen des Horrorgenres, um generelle Erwartungen zu bedienen, während er Details gegen den Strich bürstet. Oder umgekehrt. Oder jeweils im Wechsel. Es ist ja aber auch der Stoff, der in diesem Film eingekreist wird, ein sehr zarter und flüchtiger: Es ist die Seele eines kleinen Mädchens, die irreparablen Schaden nimmt, als die Mutter ermordet wird und der Vater sich als unfähig erweist, das Kind zu trösten. Vielleicht ahnen Sie es ja bereits, aus eben jenem kleinen Mädchen wird oben erwähnte junge Frau, und ihr Leidensweg, der zugleich eine Schneise der Verwüstung ist, ist damit noch nicht am Ende.
Angesiedelt hat Pesce, 1990 in New York geboren und Absolvent der Tisch School of the Arts, das Geschehen irgendwo im amerikanischen Hinterland in einem diffusen, jedenfalls vor-digitalen Irgendwann. Der raumzeitlichen Unbestimmtheit korrespondiert das Schwarzweiß, in dem »The Eyes of My Mother« gedreht wurde; einerseits wirkt es mit seiner klaren Schärfe fotografisch, andererseits ruft es Reminiszenzen wach an den klassischen Horrorfilm der Fünfziger Jahre, vor allem aber erlaubt es kein schreiendes Blutrot. Und so ist es denn auch das Schwarzweiß, das den Schrecken der Geschichte in einen auf leisen Sohlen einherschleichenden Horror überführt. Jenen ganz besonders gemeinen Horror, der entsteht, wenn die Grausamkeit sich mit der Unschuld paart.
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