Risse in der Welt

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Nach heftigen internen Auseinandersetzungen ist das Filmkunstfest Schwerin wieder auf Kurs. Thema in diesem Jahr: das Eigene und das Fremde

Mit Stoßseufzern begann das 24. Filmkunstfest Schwerin. Nach einer längeren Phase lähmender Unverträglichkeiten zwischen der Festivalspitze und ihrer Trägerinstitution Filmland-MV Gmbh wünschten sich Landespolitiker wie Sponsoren eine glückliche Wahl mit der Berufung von Volker Kufahl, der seit Dezember 2013 beide Leitungsfunktionen innehat. Volker Kufahl bringt seine Erfahrungen als Kinobetreiber in Braunschweig mit, wo er das Filmfestival zu einem Treffpunkt in Sachen Film und Musik ausgebaut hat. In Schwerin kam in der knappen Vorbereitungszeit ein fünftägiges Programm mit Wettbewerben deutschsprachiger Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme zustande, zusätzlich ein Länderschwerpunkt mit Filmen des neuen türkischen Kinos und – vor den Feiern zum Mauerfall vor 25 Jahren – die Dokumentarfilmreihe »Wendekinder«, die ostdeutsche Befindlichkeiten in der Umbruchszeit in Erinnerung rief.

Es tat dem Charme des Filmkunstfestes keinen Abbruch, dass vier der zehn Filme des Spielfilmwettbewerbs und einige der aktuellen Dokumentarfilme schon auf der  Berlinale zu sehen gewesen waren. Das größte ostdeutsche Publikumsfestival holt Filme ins Traditionskino Capitol, die kaum die Chance haben, in der vom Kinosterben bedrohten Riesenregion um die kleinste deutsche Landeshauptstadt gezeigt zu werden. Filmemacher, Schauspieler und Mitarbeiter aller möglichen Gewerke trafen hier ohne schwerfällige PR-Direktiven auf Interessierte; die weitgehende Abwesenheit von Fernsehmächtigen verhalf zu Publikumsgesprächen, die frei waren von der grassierenden devoten Dankrhetorik, der sich die Branche bei anderen Festivals unterwirft.

Den Hauptpreis der Spielfilmjury, der ich angehörte, erhielt das österreichische Vater-Sohn-Drama Risse im Beton von Umut Dağ, den Preis für den besten Darsteller der Wiener Rapper Murathan Muslu für seine mitreißende Verkörperung eines geläuterten Ex-Dealers und Totschlägers, der alles daran setzt, seinen halbwüchsigen Sohn, dessen Kontakt ihm eigentlich untersagt ist, vor dem Absturz in die Knastkarriere zu bewahren: Das Wiener Vorstadt-Ghetto der Dealer und Möchtegern-Rapper ist ein Kriegsschauplatz frustrierter Migrantenkinder, aber auch ein Zuhause, ein Ort der Hoffnung, die Gewaltspirale anzuhalten.

Was ist mein Preis? Diese bittere Frage kehrte in den unterschiedlichsten Wettbewerbsbeiträgen wieder. In Viktoria – A Tale of Grace and Greed entfaltet der zum Teil in Ungarn lebende Schweizer Filmemacher Men Lareida die Stereotypen einer Moritat vom Straßenstrich mit ungewöhnlichen Akzenten. Viktoria, ein Romamädchen (Franciska Farkas), nimmt sich die talmibehängten Rückkehrerinnen aus der Nachbarschaft zum Vorbild und verdingt sich über eine Vermittlerin als Straßenprostituierte in Zürich. Was folgt, ist die Lebensschule einer Frau, die sprachunkundig auf das zugeteilte Bett im Doppelzimmer mit ihrer unberechenbaren Freundin/Feindin angewiesen ist, quasi im Akkord unter dem Druck des verschuldeten Zuhälters arbeitet, dennoch sich selbst in der Hand behält und den glitzernden Horror der Nachtseite Zürichs wie das »Final Girl« eines Genrefilms überlebt.

Auch in Anna Hoffmanns Poka – heißt Tschüss auf Russisch werden Zuwanderer, in diesem Fall Russlanddeutsche aus Kasachstan, die um 1990 nach Deutschland einreisen und sich willkommen glauben, vor die harte Realität gestellt. Die Regisseurin, selbst aus Kasachstan stammend, entwirft zu Beginn ein burleskes Bild fröhlicher Kungelei in einer in Auflösung begriffenen Steppen-Sowchose, wo die Familie eines deutschen Patriarchen von den Reichtümern Europas träumt. Doch das Lebensgefühl der Familie wird im Alltag in einer schwäbischen Turnhallenunterkunft auf eine schwere Probe gestellt. Anna Hofmanns Tragikomödie spiegelt die peinliche Konfrontation mit deutscher Arroganz und Bürokratie wohltuend unsentimental. Die Filme des Schweriner Filmkunstfestes erzählten in den unterschiedlichsten Facetten Geschichten von Menschen, die aufbrechen, um im Zusammenprall mit Fremdem das Eigene zu bewahren und weiterzuentwickeln.

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