Kritik zu Cassandras Traum

© Constantin Film

Trotz Starbesetzung wäre er beinahe nicht bei uns ins Kino gekommen, der letzte Film von Woody Allen. Vielleicht, weil er in einem Milieu angesiedelt ist, das dem Regisseur bisher fremd schien

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Seit Woody Allen seine Filme in London dreht, sind seine Sujets und seine Pointen düsterer geworden. Der Mörder in »Match Point« versucht, den Ehering eines seiner Opfer in der Themse zu versenken. Er sieht nicht, wie der Ring von einem Geländer abprallt. Das könnte ihn überführen, doch ist das Schicksal bei Woody Allen keine moralische Instanz. Der Ring wird von einem Penner aufgelesen, und schon hat die Polizei in dem unehrlichen Finder den gesuchten Mörder ausgemacht. Mit »Cassandras Traum« nimmt Allen die betrügerische Macht des Schicksals erneut ins Visier.

Die Brüder Ian und Terry Blaine haben nie Geld, weil Ian seine Zeit in dem maroden Restaurant seines Vaters und Terry sein Auskommen als Automechaniker beim Glücksspiel verplempert. Eine erfolgreich verlaufene Wette ermöglicht es den ungleichen Brüdern immerhin, sich die ersehnte kleine Segelyacht zu kaufen. Auf dem Wasser denkt Ian einmal nicht daran, sich mit vermeintlichem Reichtum vor seiner angebeteten Angela wichtig zu tun, und der Säufer Terry berauscht sich allein an Kindheitserinnerungen: So schön hatten es die Blaine-Brüder zuletzt in dem Segelurlaub, den ihr fabelhaft reicher Onkel Howard ihnen spendiert hat. Obwohl Terrys gutmütige Freundin Kate sich mit einer Reihenhaushälfte zufrieden gäbe, bekommt er an Land seine Spiel- und Alkoholsucht nicht in den Griff. Hoch verschuldet bei Kredithaien, deren natürliches Element der Schmerz ihrer Kunden ist, setzt er seine Hoffnung auf Onkel Howard. Als der Gönner der Familie sich überraschend ankündigt, fasst auch Ian Mut. Die Summe, die Terry verspielt hat, sollte sein Startkapital für ein Immobiliengeschäft in den USA sein. Ohne Geld, glaubt der Angeber Ian, wird ihn die gebildete, als Schauspielerin erfolgreiche Angela fallen lassen: Projektionen sind des Schicksals liebste Fallgrube.

Tom Wilkinson spielt den Selfmademan Howard, der von seiner Schwester, Ians und Terrys Mutter, zum Helden der Familie stilisiert wird. Als Schönheitschirurg hat Howard Millionen gemacht, als Betrüger ist er bedroht, sie zu verlieren Alle Wünsche werde er ihnen erfüllen, tritt der Vergötterte an seine verblüfften Neffen heran, so sie ihm nur einen kleinen Gefallen täten. Ein ehemaliger Buchhalter könnte Onkel Howard ins Gefängnis bringen. Leider ist der Mann unbestechlich. Was bleibt da anders übrig, als dass Ian und Terry ihn umbringen?

»Cassandras Traum« haben Ian und Terry ihre Yacht getauft, ein Name, der Assoziationshorizonte von Tod und Verderben öffnet. Als Filmtitel ist »Cassandras Traum« von unerreichter Chuzpe. Kassandra, die Tochter des Königs Priamos, die den Untergang Trojas vorhersagte, bekam die Sehergabe von Apoll, weigerte sich, mit ihm zu schlafen und wurde prompt damit geschlagen, dass niemand ihren Weissagungen glaubte. Troja fiel. Der Titel, der Böses prophezeit, gewährt Woody Allen die Freiheit, sich auf die Seelenlage seiner Protagonisten zu konzentrieren. Wer immer dem Film vorwirft, er sei in seiner Erzählung vom Mord aus Gier, von zehrendem Schuldbewusstsein und unweigerlich folgendem Brudermord vorhersehbar, übersieht, dass das Vorhersehbare eine Referenz an Kassandras Trauma ist. Nicht was passiert, zählt in diesem verstörend einsichtigen Film, sondern die betrübliche Tatsache, dass die Handelnden es (besser) hätten wissen können.

Aufwühlend und buchstäblich wahnsinnig komisch sind die Varianten des Selbstbetrugs, die der großartige Colin Farrell in der Rolle des labilen Terry und ein verführerisch unbekümmerter Ewan McGregor als Ian durchlaufen. Doch der Sieg in diesem Kampf mit dem Gewissen, das von niederen Wünschen und ihrer Verklärung zum Schicksalhaften niedergestreckt wird, gebührt Tom Wilkinson. Sein Onkel Howard ist die Verkörperung dramatischer Manipulation. Wie er die Brüder umgarnt, ihnen die Notwendigkeit den Feind zu morden, als Aufgabe eines intakten Familienverbandes schmackhaft macht, wie er ihre Skrupel mit der Aussicht auf den Besitz der schönen Angela, einer modernen Helena, und dem endgültigen Triumph über das launische Glücks übertönt – das alles verleiht Wilkinson die Aura eines aus Mythen auferstandenen, wahrhaft göttlichen (Schau-)Spielers.

Und was machen die Frauen, während ihre Männer seelisch, moralisch und später auch physisch untergehen? Sally Hawkins, seit der Hauptrolle in Mike Leighs »Happy-Go-Lucky« auf dem Weg zu verdientem Ruhm, spielt Terrys Frau Kate mit der beschränkten Aufnahmefähigkeit der phantasielos Glücklichen. Eine Reihenhaushälfte würde ihr genügen. Vor allem soll Terry aufhören zu saufen. Der Arme kann noch so oft gestehen, jemanden ermordet zu haben, was Kate nicht hören will, versteht sie nicht. Angela, Tochter aus reichem Haus, bringt die rührend naive Unterschichtenschöne auf ganz andere Gedanken. Jetzt, wo die Männer dank Onkel Howard gut verdienen, sollte man da nicht? Man sollte. Die Frauen gehen Shoppen. Die Männer bringen sich um. Das Schicksal hat einen Kleiderschrank, größer als jeder Theaterfundus.

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