Kritik zu Zurück im Sommer
Einige der besten Geschichten der welt sind vorhersehbar: Mit der Mutter zu schlafen, den vater zu töten, ist Ödipus vorherbestimmt. Sich als Filmautor dem orakel gleichzusetzen, verlangt allerdings Chuzpe und Fantasie
Dennis Lee, Regisseur von »Zurück im Sommer«, hat »König Ödipus«, vielleicht sogar Freud gelesen, aber offenbar nicht verstanden. Der ödipale Konflikt, den sein Film in einem heißen Sommer väterlicher Ungerechtigkeit und mütterlicher Schwäche aufbaut, verläppert sich in dem Versuch, aus dem Kampf ums Erwachsenwerden eine therapeutische Familienaufstellung zu machen.
Da ist zum einen der despotische Vater (Willem Dafoe), Professor für Literaturgeschichte und obendrein Möchtegernschriftsteller, und zum zweiten Sohn Michael (Ryan Reynolds), der als Romancier um Anerkennung ringt. Zwanzig Jahre nach einem verhängnisvollen Sommer, in dem Michael als Junge an den Ansprüchen seines Vaters gescheitert ist, weil er in seiner Not vor einer Runde von Professoren ein Poem von Robert Frost als eigenes Werk ausgegeben hat, kommt die zerstrittene Familie erneut zusammen. Gefeiert werden soll, dass Michaels Mutter Lisa (Julia Roberts) den College-Abschluss nachgeholt hat, den sie als gute Mutter einst sausen ließ.
Julia Roberts spielt Lisa als rehäugige Dulderin mit Schönheitsfimmel; Willem Dafoe als Professorenvater Charles sieht man die Kränkung des nie gewonnen Nobelpreises in rechthaberisch funkelnden Augen an. Das ist ein bisschen so, als würden die Gesichter zu Telepromptern, von denen der Zuschauer die seelische Verfassung der Figuren abliest.
Die Schlüsselszene des Films offenbart mit berechnendem Pathos, dass Lee weniger Erkenntnis als vielmehr Verständnis um jeden Preis sucht. Schicksal ist hier keine archaische Macht, die das Unausweichliche einklagt, sondern das Sitzungsprotokoll einer Paartherapie, das schön der Reihe nach festhält: Lisa löst den Sicherheitsgurt, um den Lippenstift nachzuziehen, beachten Sie das Zeichen ihrer Unsicherheit. Sie schnallt sich nicht wieder an, weil das Jubelkleid nicht zerknautscht werden soll, Achtung: Perfektionswahn. Charles jagt im ewigen Streit mit ihr den Tacho hoch, siehe Potenzgebaren, der 10jährige Christopher, Sohn von Lisas jüngerer Schwester Ryne, läuft zeitgleich einem Ball hinterher auf die Straße, und Bingo. Lisa ist tot, Charles ungnädig wie immer, Christopher erbt das familiäre Schuldgefühl.
Diese seriell mit Taschentuch gelieferte Heulvorlage ist für anspruchsvolle Zuschauer die wirkliche Katastrophe. Für den Film ist es geradezu ein Segen, dass Lisa tot ist. Endlich, zusammengepfercht in Trauer und Schmerz, können Vater und Sohn ein paar Dinge klären. Nicht, dass sie miteinander reden, da sei die Halbwahrheit des pseudopsychologischen Drehbuchs vor. Aber irgendwie fühlt doch ein jeder, dass eine Familie zusammenhalten muss. Das böse Manuskript über Michaels Kindheit landet im Feuer; die Kastration des Sohnes ist Programm, wenn der Vater nicht einmal symbolisch umgebracht werden darf.
Mit diesem Film entlastet eine erschütternd unbedarfte Schicht halbgebildeter Psychoanalysefl üchtlinge sich selbst: Keiner hat schuld, alle haben es gut gemeint und die Toten sind Kollateralschäden. Gut, dass wir drüber geschwiegen haben.
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