Kritik zu Räuber Kneißl
Beste Unterhaltung in historischer Dekoration: Marcus H. Rosenmüller trägt in seiner Version des bayerischen Volkshelden viel blauweiße Farbe auf und bringt sich weiter als neuen Heimatfilmer ins Spiel
Wie aus einem Scherenschnitt heraus treten Pfarrer und Gendarm in die matschige bayerische Provinz von 1892 am Anfang von Marcus H. Rosenmüllers Film »Räuber Kneissl«. Das ist ein schönes Bild, und es sagt etwas darüber aus, wie hier erzählt werden soll. Der Räuber Kneißl ist ein Volksheld in Bayern, und der zweidimensionale Scherenschnitt erfasst recht treffend den Grad an Komplexität, mit dem Rosenmüller die überlieferte Geschichte aufgreift.
Als Hoffnungsträger eines neuen Heimatfilms (»Wer früher stirbt, ist länger tot«, »Beste Zeit«, »Beste Gegend«) oder zumindest eines bayerischen Kinos ist Rosenmüller nicht der erste, der die Geschichte vom Räuber Kneißl adaptiert. Reinhard Hauff (»Mathias Kneissl«, 1970) und Oliver Herbrich (»Das stolze und traurige Leben des Mathias Kneissl«, 1980) haben den Stoff verfilmt, und Maximilian Brückner, der nun bei Rosenmüller die Hauptrolle spielt, hat den Räuber Kneißl bereits in der Inszenierung vom Christian Stückl am Münchner Volkstheater gegeben.
Man weiß wenig über den legendären Räuber, was den Spielraum für die Interpretation der Nachgeborenen erhöht. Kneißl wurde 1875 in Unterweikertshofen geboren und 1902 in Augsburg wegen Polizistenmords hingerichtet. Er stammte aus armen Verhältnissen, was seine Wilderei als Dissidenz lesbar macht; dass seine Raubzüge sich gegen wohlhabende Bauern richteten und er die Polizei zeitweise an der Nase herumführte, hat ihm Popularität in der Landbevölkerung eingebracht. Ob er der bayerische Robin Hood war, für den manche Legende ihn hält, bleibt umstritten.
Reinhard Hauff hat zu Zeiten des Neuen Deutschen Films mit der Geschichte von Mathias Kneißl versucht, den Heimatfilm aus Opas Kino mit seinen eigenen, freilich sozialkritisch geschärften Mitteln zu schlagen, während Herbrichs Elegie den jugendlichen Außenseiter als Ahnen der desillusionierten Generation am Beginn der achtziger Jahre begriff. Rosenmüllers Variante setzt nun vor allem auf das Lokalkolorit der Geschichte: Das Presseheft spricht verhalten von einer »bayerischen Farbe«, die bei der Stoffsuche der Produktionsfirma ein Kriterium gewesen sei. Ein Begriff, der das Diffuse einer (regionalen) Identität heute bemäntelt und zugleich das Problematische an einer – wie in der Vergangenheit geschehen – eindeutigeren Beschwörung derselben scheut.
In diesem Sinne ist Rosenmüllers Film in erster Linie Unterhaltung: ein kraftvolles, schön dekoriertes Nichts. Die Vorgeschichte bis zur Entlassung Kneißls 1899 aus erster Haft nach dem Tod des Vaters und des Bruders wird so rasant erzählt, dass für eine historische Rahmung keine Zeit bleibt. Die Kinder Kneißl schwänzen die Schule und schießen mit der Zwille auf den Gendarm (Thomas Schmauser), der ihnen das nicht durchgehen lassen will. Die Eltern (Michael Fitz, Maria Furtwängler) wildern oder knacken den Opferstock der Kirche, und weil außer dem pittoresk verfallenen Müllerhof jeder Hinweis auf Lebensumstände oder gesellschaftliche Verhältnisse fehlt, könnte man angesichts der pausenlosen Action auch den Eindruck haben, es mit einer Familie von zwanghaft kriminellen Verrückten zu tun zu haben.
Nach der Entlassung kehrt Kneißl zu seiner Jugendliebe Mathilde (Brigitte Hobmeier) zurück, die hier zum weiblich dominierten Haushalt von Mutter, Tante, Schwester und Nichte Kneißls gehört. Den Versuchungen der Kriminalität, denen Rosenmüller in einer atemlos gefilmten Bordellszene seinen Protagonisten aussetzt, widersteht Kneißl anfangs. Erst das Scheitern eines bürgerlichen Lebens an den Vorurteilen einer ignoranten Umwelt dem Zuchthäusler gegenüber treibt Kneißl in die Arme seines Knastkumpanen Holzleitner, mit dem er reiche Bauern ausraubt, um an das Geld für den Traum von der Fahrt mit Mathilde nach Amerika zu kommen.
Die »bayerische Farbe« kommt in »Räuber Kneissl« nicht zu kurz (für den bundesweiten Vertrieb hätte man eine deutsche Untertitelung erwägen sollen), und Kamera (Stefan Biebl) wie Musik (Gerd Baumann) produzieren wuchtige Effekte für die große Leinwand. Dafür reduziert sich alles, was in der Geschichte neben Abenteuerspielplatz und Folklore noch stecken könnte, aufs Drollige.
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