Kritik zu Michael Clayton
Nichts scheint mehr so zu funktionieren, wie es soll. George Clooney als Michael Clayton ist ein Mann, der eigentlich alles unter Kontrolle haben sollte. Als eine Art Spezialadvokat ist er für eine renommierte New Yorker Anwaltskanzlei tätig. Doch der Mann ist jetzt, gleich zu Beginn des Films, übernächtigt. Er hat die halbe Nacht Poker gespielt. Plötzlich beginnt auch noch das kühle Licht des Navigationssystems in seiner Limousine zu flackern. Die Wege, die der Computer vorgibt, verschwinden in einem elektronischen Gewitter. Und so findet sich Michael Clayton nach einem Klientenbesuch auf einer einsamen Landstraße wieder. Er stoppt den Wagen, sein Gesicht ist fahl, beinahe totenbleich. Drei Pferde auf einer morgendlichen Weide ziehen ihn beinahe magisch an, ein ähnlich idyllisches Bild hat er im Fantasy-Jugendbuch seines kleinen Sohnes gesehen. Michael Clayton ist ein Mann, der einen Ausweg sucht. Der ausbrechen will aus seinem Berufsleben, vielleicht aus seinem ganzen Lebensrhythmus. Er könnte sterben auf dieser geheimnisvollen Landstraße.
Das sind stets die spannendsten Momente eines jeden Paranoia-Thrillers: wenn sich kleine Störungen des Alltags unversehens als existenzielle Krisen entpuppen. Und Tony Gilroy (Drehbuchautor der »Bourne«-Trilogie) ist mit seinem Regiedebüt mehr gelungen als nur ein packender Verschwörungskrimi. Der Film lässt sich Zeit für die genaue Beobachtung, ein Thriller der Details, Widersprüche und absurden Mechanismen in der westlichen Gesellschaft.
Im Grunde ist Clooney als Clayton, dessen Geschichte sich nach der morgendlichen Verstörung in einem Flashback entfaltet, ein sympathischer, beinahe rechtschaffener Anwalt des Teufels, unterwegs in den Grauzonen des Rechts. Doch sein letzter Fall wirft ihn in die Krise. Mehrere Faktoren spielen zusammen. Er ist ein Mann mittleren Alters, der sein Leben überdenkt. Und er hat Schwierigkeiten mit seiner Familie, vor allem mit dem suchtkranken Bruder, dessen Schulden er übernimmt. Zu guter Letzt betrifft der Fall auch noch seinen alten Kumpel: den genialen und chaotischen Advokaten Arthur Edens (Tom Wilkinson), der für dieselbe Kanzlei arbeitet wie Clayton. Edens, auf einem irren Trip, sein eigenes Eden wiederzufinden, droht, den mächtigen Mandanten der Kanzlei, das Chemieunternehmen U/North, ans Messer zu liefern.Clayton soll seinen Freund, der sich aufführt wie Josef Bierbichler in einem Hans-Steinbichler-Film, zur Räson bringen.
Aber natürlich hat U/North Dreck am Stecken – die Verbreitung eines Unkrautvernichtungsmittels mit verheerenden Nebenwirkungen. Sollte sich auch Michael Clayton, der Söldner im feinen Zwirn, den es eigentlich gar nicht geben darf, gegen den Konzern stellen, droht das System der Firmen, Agenturen und Kanzleien gewaltig erschüttert zu werden. Ein System des permanenten Geldflusses, das funktioniert, funktionieren muss.
Sydney Pollack als Kanzleichef verkörpert das System in einer Rolle, die an seinen Auftritt in »Eyes Wide Shut« erinnert, am besten: Er ist ein angenehmer, kompetenter Patriarch, der Löhne und Mieten zu bezahlen hat. Eine andere Repräsentantin von Corporate America ist die Leiterin der Rechtsabteilung von U/North. Karen Crowder heißt sie, eine coole und doch verzweifelte Karrierefrau, an Arbeitssucht leidend wie ein Junkie. Tilda Swinton spielt sie als zeitgenössische Amazone. Das Handy in ihrer Hand erscheint manchmal wie der Griff eines unsichtbaren, weit reichenden Schwertes. Karen Crowder und ihre Schergen sind die Gegenspieler von Michael Clayton, sie sind aber auch sein Spiegelbild, Profis, die nur ihren Job tun.
Die Schilderung einer Familienszene bildet einen zunächst nebensächlich erscheinenden Höhepunkt in Gilroys Film: der Geburtstag von Claytons Vater, einem ehemaligen Polizisten, stellt sich als ein Fall von paradise lost dar. Kein Familienmitglied hier scheint mehr Zeit für den anderen zu haben. Und doch wird bei dieser Feier der letzte Anstoß für Claytons Rebellion erfolgen. Clooney als Mann auf der Suche nach Eigenschaften erkennt auf der morgendlichen Landstraße: Dass nichts mehr so funktioniert, wie es sollte, das könnte auch Glück bedeuten.
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