DVD-Tipp: »Tränen der Erinnerung«

Trailer englisch © Verleih

»Sag mal: Regentage, sonnige Tage oder bewölkte Tage – welche magst du am liebsten?«, wird die zehnjährige Taeko gefragt. Sie überlegt kurz und sagt: »Bewölkte.« Nach diesem zarten Flirt mit einem Schulkameraden hebt sie auf dem Nachhauseweg von der Straße ab und entschwebt in einem Meer aus rosaroten Wolken. »Tränen der Erinnerung« ist eines der kleinen Wunderwerke aus dem japanischen Ghibli-Studio und unter der Regie von Isao Takahata eher einem kontemplativen Realismus verpflichtet als der überbordenden Action-Fantasy seines Freundes Hayao Miyazaki. Hier geht es um die kleinen Wunder der Wahrnehmung, darum, wie sich die Welt in den Scheiben eines Tokioter Wolkenkratzers spiegelt, wie bei einer nächtlichen Zugfahrt das Licht von draußen durch die Fenster flackert und welchen Zauber im Kontrast dazu die Natur auf dem Lande entwickelt: das Schillern der gelb-roten Färberdisteln, das Scheinwerferlicht eines Autos, das auf der nächtlichen Straße vom Laub der Bäume wie tausend Glühwürmchen reflektiert wird. Es geht darum, wie Wälder und Wiesen in unzähligen Grünschattierungen aufschimmern oder wie sich Bergkuppen in dunstigen Grautönen in die Tiefe der Landschaft staffeln.

Schon als Kind hat sich Taeko sehnlichst einen Urlaub auf dem Lande gewünscht, nun verbringt sie als Erwachsene Arbeitsferien bei den Bauern und erlebt dabei ein magisches Coming of Age, das durch die Liebe zusätzlich beflügelt wird. Begleitet wird sie dabei von all den Kindheitserinnerungen, die ihre zehnjährige Version mitbringt. Als kleinste unter drei Schwestern fühlte sie sich nie so recht zugehörig und zu Hause, weder in der Stadt noch in ihrer Familie. Und Takahata, dem die genaue Beobachtung der Welt als Inspiration immer wichtiger war als die Fantasy-Mythen und Legenden seines Landes, hat ihr mit wenigen Strichen Seele eingehaucht. Während das Muskelspiel bei den Erwachsenen oft recht hart geraten ist, ist dieses kleine Mädchen ein Meisterstück der Animationskunst, herzergreifend in ihrer Scheu und Melancholie, ihrer Nachdenklichkeit und Resignation, ihrer Hoffnung und ihrer Enttäuschung. Im ausführlichen Making-of erfährt man viel über die Entstehung dieses Films, aber auch über die Dynamik zwischen den beiden unterschiedlichen Meistern des Anime bei Ghibli.

 

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