Einer für die Studios, einer für uns
Zachary Quinto am Set von »Der große Crash – Margin Call« (2011)
Immer mehr Schauspieler produzieren selbst Filme. Und zwar solche, die aufgreifen, was Hollywood links liegen lässt: Umweltprobleme, Queerness, wirtschaftliche Krisenphänomene. Zum Club gehören Superstars wie Leonardo DiCaprio, aber auch Quertreiber wie Zachary Quinto
Temperaturen bis zu 25 Grad unter null, Warten auf Naturlicht, in Tierfelle gehüllte Darsteller: Crewmitglieder bezeichneten die Dreharbeiten zu Alejandro González Iñárritus »The Revenant – Der Rückkehrer« rückblickend als »Hölle«. Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio kann so etwas nicht mehr schockieren. Zwar wird er in einer spektakulären Szene von einer Bärenmutter attackiert, aber der 41-Jährige hat sich in den vergangenen zehn Jahren seinen Ruf als Hollywoods Schmerzensmann redlich verdient. Seine Hauptrolle in Iñárritus Frontier-Western reiht sich nahtlos in ein eklektisches Portfolio ein, das souverän zwischen Starkino und anspruchsvollen Arthousefilmen manövriert. Dass DiCaprio keine gewöhnliche Hollywoodkarriere einschlagen würde (obwohl seine privaten Eskapaden auch die Klatschpresse bedienen), war früh erkennbar. Der ehemalige Indieliebling (Gilbert Grape, Jim Carroll) hat den ohrenbetäubenden Hype um James Camerons »Titanic« Ende der Neunziger gut verarbeitet. Statt nach den Gesetzen des Marktes weiter das Image des sensiblen Romantikers zu erfüllen, unterzog er seine Karriere nach dem Erfolg von »The Beach« einem radikalen Make-over.
Dreizehn Jahre ist es nun her, dass DiCaprio erstmals für Martin Scorsese vor der Kamera stand. Ihre Partnerschaft (bis heute fünf gemeinsame Filme) hat sich seitdem als eine der produktivsten in der jüngeren Hollywoodgeschichte erwiesen. DiCaprio gelang es unter Scorsese, sich als ernsthafter Schauspieler zu etablieren – auch seine kantige Physiognomie ist ein Zugeständnis an diesen erstaunlichen Wandel. Inzwischen fungierte er sogar als Produzent für seinen einstigen Mentor: Mit seiner 2004 gegründeten Produktionsfirma Appian Way (sehr treffend: der englische Begriff für die Via Appia, die das antike Rom mit der Welt verband) kofinanzierte er zuletzt Scorseses Hochfinanz-Farce »The Wolf of Wall Street«, an deren Vorlage, den Memoiren des ehemaligen Bankers Jordan Belfort, sich DiCaprio bereits 2007 die Rechte gesichert hatte. Es war seine bisher erfolgreichste Produktion mit Appian Way; sowohl als Darsteller wie auch als Produzent wurde er für den Oscar nominiert. Ähnliche Schlagzeilen machte DiCaprio seit einigen Jahren allerdings auch mit seinem Engagement für den Umweltschutz, bei dem Appian Way ebenfalls eine tragende Rolle spielt.
Friedensbotschafter und Öko-Aktivist
2014 war ein einschneidendes Jahr für DiCaprio. Er hielt in seiner Funktion als offizieller UN-Friedensbotschafter die Eröffnungsrede auf dem UN-Klimagipfel in New York, während er bei zwei Dokumentarfilmen als Produzent in Erscheinung trat: »Virunga« des britischen Filmemachers Orlando von Einsiedel über ein bedrohtes Biosphärenreservat im Kongo und Kip Andersens und Keegan Kuhns »Cowspiracy: The Sustainability Secret« über den Einfluss der Agrarindustrie auf die Umwelt und die Gesundheit des Menschen. Beide Filme haben das öffentliche Profil DiCaprios als eines Umweltaktivisten gefestigt. Schon seit Ende der neunziger Jahre unterstützt er Umweltorganisationen. 1998 gründete er die Leonardo DiCaprio Foundation, die weltweit Umweltprojekte fördert und Themen wie Klimaerwärmung, Naturschutz und erneuerbare Energien auf ihre Agenda setzte. Seinen weitreichenden (nicht zuletzt: finanziellen) Einfluss in Hollywood bringt er längst auch in die Politik ein: 2004 und 2008 unterstützte er die demokratischen Präsidentschaftskandidaten, um den Einfluss der US-amerikanischen Ölkonzerne einzuschränken.
DiCaprios Produzentenrolle ist ein integraler Bestandteil seines Umweltengagements. Da sein Name für viele Kinofans – von Geldgebern und Entscheidungsträgern ganz zu schweigen – als Türöffner fungiert, kann er Filmprojekten eine Aufmerksamkeit bescheren, von der Dokumentarfilmer gewöhnlich nur träumen. Bereits 2007 produzierte DiCaprio die Ökodokumentation »The 11th Hour«, in der er auch die Erzählerrolle übernahm. Der Film schaffte es im selben Jahr in den Wettbewerb von Cannes. Wie wichtig ein bekannter Name für die Kampagne eines Filmes ist, bestätigte auch Virunga-Regisseur Orlando von Einsiedel, der sich mitten im Schnitt befand, als sich DiCaprio in seinem Produktionsbüro meldete. »Durch seine Rolle im Umweltschutz war er für uns natürlich eine unschätzbare Hilfe«, erzählte von Einsiedel letztes Jahr in einem Interview. DiCaprio fädelte auch den Vertriebsdeal mit dem Streamingdienst Netflix ein. Am Ende wurde Virunga sogar für den Oscar nominiert.
Für seinen Beitrag zu »Virunga« erhielt DiCaprio in den Credits eine Erwähnung als ausführender Produzent. Diese Bezeichnung ist in den vergangenen Jahren immer häufiger zu lesen, wenn Filmstars ihre Namen in die Waagschale warfen, um ein Herzensprojekt zu unterstützen. (Die Praxis hat auch im Fernsehen Einzug gehalten. So produzierten etwa Matthew McConaughey und Woody Harrelson beide Staffeln von »True Detective«, Bryan Cranston stieg bei »Breaking Bad« als »executive producer« ein.) Im Tagesgeschäft ist der Einfluss des ausführenden Produzenten allerdings begrenzt. Im Fall von »Virunga« beschränkten sich DiCaprios Aufgaben auf geschäftliche Deals und die Bereitstellung finanzieller Mittel. Als er und Regisseur von Einsiedel sich erstmals trafen, war der Film längst fertiggestellt. Die Grundfinanzierung hatte die kleine Londoner Produktionsfirma Violet Films gestemmt. Einen finanziellen Profit zog keiner der Beteiligten aus dem Engagement: Alle Einnahmen und Preisgelder fließen direkt zurück an den Virunga Nationalpark.
Leonardo DiCaprio befindet sich mit seinem Engagement als Produzent an der Spitze einer neuen Schauspielergeneration, die sich nicht mehr damit begnügen will, hinter der Kamera zu stehen, sondern ihre Popularität geltend macht, um Filmprojekte anzuschieben, die ohne prominente Hilfe nur schwer zu realisieren wären, oder gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Ganz neu ist das Geschäftsmodell nicht. Der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit (von den damals dominanten Filmstudios) und größerer kreativer Kontrolle veranlasste schon Mary Pickford, Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks und D. W. Griffith vor knapp 100 Jahren, die Produktionsfirma United Artists ins Leben zu rufen. Und auch Humphrey Bogart musste 1950 mit seiner Produktionsfirma Santana helfen, damit Nicholas Ray sein melancholisches Noir-Meisterwerk »In a Lonely Place« (mit Bogey in seiner vielleicht schönsten Rolle) finanzieren konnte.
Der Star ist die Marke
Heute besitzt so gut wie jeder Star mit Markenbewusstsein eine Produktionsfirma, von Ben Stiller über Tom Hanks bis Reese Witherspoon. Adam Sandler hat früh Geschäftssinn bewiesen und gehört heute mit Happy Madison, die in erster Linie seine eigenen Filme und die von Freunden produziert, zu den erfolgreichsten Unternehmern unter den Hollywoodstars. Bradley Cooper ist in den vergangenen Jahren mit »Silver Linings«, »American Hustle« und »American Sniper« ebenfalls in die Liga erfolgreicher Schauspieler-Produzenten aufgestiegen. Er habe, schrieb das »Forbes«-Magazin im vergangenen August, das George-Clooney-Modell perfektioniert: einen für die Studios, einen für sich. Was Wirtschaftsblätter wie »Forbes« beim Erstellen ihrer Jahresbestenlisten nicht in Betracht ziehen, sind weiche Faktoren wie Nachhaltigkeit und soziales Engagement, was sich in Hollywood zunehmend als symbolisches Kapital erweist. In dieser Hinsicht bleibt George Clooney weiter das Vorbild für jüngere Darsteller wie Leonardo DiCaprio, James Franco, Zachary Quinto oder Andrew Garfield, die sich mit Kassenhits wie »Titanic« und »The Great Gatsby« oder Franchises wie »Star Trek« und »The Amazing Spider-Man« ein Standing verschafft haben, das es ihnen erlaubt, nebenbei finanziell riskante Filmprojekte zu unterstützen. Und diese kleinen Lieblingsprojekte, unabhängige message movies mit sozialem Anspruch, werden in Zeiten einer verstärkten Konsolidierung der Filmindustrie, die sich auf wenige großbudgetierte tentpole-Filme verlässt, immer bedeutsamer.
Andrew Garfield, der sich im vergangenen Jahr mit dem Independentfilm »99 Homes« des iranisch-amerikanischen Regisseurs Ramin Bahrani seine ersten Meriten als Produzent verdiente, beschrieb in Interviews seine Motivation, in das Produzentenfach zu wechseln: Nach zwei kräftezehrenden »Spider-Man«-Filmen, die ihn über mehrere Jahre vertraglich gebunden hatten, suchte er eine neue Herausforderung. Im Sozialdrama »99 Homes« fand er ein Projekt, in das er sich sinnvoll einbringen konnte. Garfield übernahm auch gleich die Hauptrolle. Er spielt einen Bauarbeiter, der in der Immobilienkrise sein Haus, das er mit Mutter und Kind bewohnt, an eine Bank verliert, und schließlich aus Geldnot gezwungen ist, die Seiten zu wechseln. Das Moralstück dreht sich um ein Thema, das im Hollywoodkino bislang kaum bearbeitet wurde: den Zusammenbruch der ehemaligen Mittelklasse und die wachsende soziale Unsicherheit in den USA.
Dasselbe Thema greift aktuell ein anderer Hollywoodstar auf, der sich längst auch einen Namen als Produzent gemacht hat. Brad Pitts Produktionsfirma Plan B Entertainment war die treibende Kraft hinter der Verfilmung von Michael Lewis' Sachbuch-Bestseller »The Big Short« über den Kollaps des Bankensystems 2008. Pitt hat in den vergangenen Jahren zwischen Blockbustern wie »Troja« und »World War Z« immer wieder gesellschaftlich brisante Filme wie die Dokumentation »Drogen: Amerikas längster Krieg« oder das Martin-Luther-King-Biopic »Selma« produziert. Anders als DiCaprio verfügt er allerdings auch vor der Kamera über ein gewisses Sendungsbewusstsein, wenn er sich etwa im Abolitionismus-Drama »12 Years a Slave« selbst in der Erlöserrolle besetzt. Eine ähnliche Aura der Hybris umgibt auch Ehefrau Angelina Jolie, deren Produktionen »In the Land of Blood and Honey« und »Unbroken« von der Kritik skeptisch rezipiert wurden – obwohl Jolie mit dem Dokumentarfilm »Trudell« und der kambodschanisch-amerikanischen Koproduktion »Lovesick« auch verdienstvolle kleine Filme unterstützt. Doch nach wie vor gilt: Übertriebenes Engagement wird bei Stars kritisch beäugt, denn der Vorwurf der persönlichen Vorteilnahme liegt nahe. Karitative Aktivitäten sind gut fürs Image.
Quereinsteiger beleben das Bild
Dabei war die Motivation ursprünglich eine ganz andere. Der Trend zu produzierenden Schauspielerinnen und Schauspielern entstand in den neunziger Jahren eher aus der Not heraus: Es waren Schauspielerinnen wie Jodie Foster (»Nell«, 1994) und Drew Barrymore (»Ungeküsst«, 1999), die in die Männerdomäne vorstießen, um ihre Geschichten umzusetzen. Gerade der Fall Barrymore zeigt, dass man sich in Hollywood mit dem nötigen Kapital Einfluss verschaffen kann. Ein Jahr nach ihrem Comeback und dem von ihr produzierten Actionhit »3 Engel für Charlie« war es vor allem ihrem maßgeblichem Einsatz zu verdanken, dass Richard Kelly seinen Kultfilm »Donnie Darko« drehen konnte. Dafür übernahm sie eine kleine, aber entscheidende Nebenrolle im Film. Heute zählen Foster und Barrymore neben Hilary Swank, Salma Hayek und Nicole Kidman zu den prominentesten Darstellerinnen in Hollywood, die sich für die Finanzierung von »schwierigen« Filmen starkmachen.
Wie verbreitet diese Doppelfunktion unter Darstellerinnen und Darstellern inzwischen ist, ist auch ein Indikator für einen Kulturwandel innerhalb der Filmbranche. Einerseits wird es immer schwieriger, kleine Filme zu finanzieren, andererseits ermöglichen gerade die großen Franchises ihren Darstellern, sich finanziell unabhängig zu machen und aus dem Mainstream auszuscheren. Zachary Quinto, bekannt geworden durch seine Rolle als junger Spock in J.J. Abrams' »Star Trek«-Reboot, gehört neben dem omnipräsenten Multitasker James Franco, der gerade rund 15 Projekte in der Pipeline hat und sich von Literatur und Kunst ebenso befeuern lässt wie von gender issues und Pubertätsstörungen (siehe sein Porträt in epd Film 4/15), zu den derzeit interessantesten Produzenten aus der Riege der Hollywooddarsteller. Quinto hat auch der Regisseur und Autor J.C. Chandor (»A Most Violent Year«) nicht unwesentlich seine aufstrebende Karriere zu verdanken. Das Skript zum Finanzthriller »Der große Crash – Margin Call« fiel Quinto in die Hände, als er mitten in den Dreharbeiten zur Serie »Heroes« steckte. »Ich realisierte, dass ich die Gelegenheit bekam, eine integrale Rolle in den Geschichten zu spielen, die ich erzählen wollte«, erklärte er vor einigen Jahren im Interview mit dem amerikanischen Onlinemagazin »Indiewire«. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass nichts so kurzlebig ist wie Erfolg in Hollywood. Dieser Pragmatismus verbindet Garfield, Franco und Quinto.
Für Quinto birgt die Gründung seiner Produktionsfirma Before the Door die Möglichkeit, die Kontrolle über die eigene Karriere zurückzugewinnen und Menschen zusammenzubringen, die mit ihm an einem Strang ziehen. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass Akteure wie Quinto oder Franco auch einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Diversität in der amerikanischen Filmindustrie leisten. Im vergangenen Jahr standen sie für das Drama »I am Michael« über die wahre Geschichte des ehemaligen Schwulenaktivisten Michael Glatze, der sich mit Hilfe seines Glaubens von seiner Homosexualität »heilte«, gemeinsam vor der Kamera. Denn Diversität ist in Hollywood nicht nur ein Problem der Rollenangebote, wie die letztjährige Oscarverleihung gezeigt hat. Sondern ein strukturelles.
Denn das Hollywoodsystem entwickelt sich langsam zu einem homogenen Monstrum. Der Vorwurf, dass sich die Filmindustrie immer weiter von der amerikanischen Realität entferne, wird über die üblichen konservativen Kreise hinaus lauter. Momentan lässt sich dieses Problem wohl nur durch individuellen Einsatz beheben. Prominente Schauspieler wie Leonardo DiCaprio, Angelina Jolie, George Clooney oder James Franco müssen hier als Korrektiv fungieren, will das Kino seine gesellschaftliche Relevanz nicht vollkommen einbüßen. Der britische Satiriker John Oliver zeigte jüngst in seiner HBO-Comedyshow, dass ein Großteil der New Yorker nicht einmal weiß, wer Edward Snowden ist. Der Film zu den NSA-Enthüllungen kommt dieses Jahr in die Kinos. Regie führt Oliver Stone. In einer Hauptrolle: Zachary Quinto.
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