Kritik zu Valley of Love – Tal der Liebe
Trauerarbeit bei über 100 Grad Fahrenheit: Isabelle Huppert und Gérard Depardieu spielen ein lang getrenntes Paar, das auf Wunsch ihres verstorbenen Sohnes eine Woche im Death Valley verbringt. Regisseur Guillaume Nicloux entwickelt ein Geflecht von Fragen und Gefühlen
Eine Frau folgt zielstrebig einem Gehweg, der sie vorbei an Parkbuchten und Autos zu ihrem Motelzimmer führen wird. Die Kamera bleibt immer im gleichen Abstand hinter ihr. Sie ist eher Verfolger als Begleiter, eine unabhängige Macht, deren alltäglicher Blick in dieser Situation irritiert. Vielleicht liegt es an der Musik, die dazu erklingt: Charles Ives' »The Unanswered Question«. Eine einzelne Trompete dringt ein in ein sanftes, fast schon schwebendes Gewebe aus Streicherklängen und stößt ein Tor zu einer anderen Dimension auf. Das Trompetenmotiv ist die unbeantwortete Frage...
Unbeantwortete Fragen quälen auch die Frau, die zu Beginn zu ihrem Zimmer geht. Sie ist Schauspielerin, heißt Isabelle und wird von Isabelle Huppert gespielt. Vor gut einem halben Jahr hat sich ihr Sohn Michael, den sie schon früh verlassen hat, umgebracht. Und nun nagen die Fragen an ihr. Warum hat er das getan? Welche Verantwortung trägt sie an seinem Tod? Sie begleiten Isabelle in dieses Motel im Death Valley, wohin ihr toter Sohn sie bestellt hat. Vor seinem Selbstmord hat er ihr und seinem Vater, dem von Gérard Depardieu verkörperten Schauspieler Gérard, jeweils einen Brief geschrieben. In ihnen fordert er die beiden auf, Mitte November für eine Woche ins Death Valley zu reisen und dort jeden Tag gemeinsam einen der berühmten Orte aufzusuchen. Wenn sie sich an seine Anweisungen halten, werde er Isabelle und Gérard noch einmal erscheinen.
Nach Jahren, in denen sie sich nicht gesehen haben, kommt das ehemalige Paar also in der Oase Furnace Creek zusammen. Isabelle klammert sich an Michaels Versprechen. Sie glaubt an die Wiederkehr ihres Sohnes. Diese Hoffnung, die durchaus etwas von einem Wahn hat, ist Gérard völlig fremd. Einmal sagt er Isabelle, dass sie natürlich die Verantwortung für Michaels Tod tragen, schließlich hätten sie ihm auch das Leben geschenkt. Mit dieser pragmatischen, Gefühle ausklammernden Haltung wehrt er die unbeantworteten Fragen ab, die Isabelle keine Ruhe lassen. Während sie Antworten sucht und dabei immer mehr verzweifelt, lebt Gérard weiter wie bisher. Wie die Streicher in Ives' Komposition bleibt er bei sich. Das Metaphysische findet lange Zeit keinen Einlass in seine abgeschlossene Welt, nur um letztendlich umso heftiger in sie einzubrechen.
Guillaume Nicloux' »Valley of Love« teilt mit Ives' »The Unanswered Question« nicht nur die beunruhigende Atmosphäre. Beide sind auch ähnlich komponiert. Wie Yves legt Nicloux verschiedene Ebenen übereinander, die sich kaum berühren und doch eine komplexe Einheit bilden. Da ist zunächst einmal der Drehort, das Death Valley mit seinem gleißenden Licht und seiner extremen Hitze. Selbst der Wind, der durch die Canyons pfeift, bringt keinerlei Linderung. Das Death Valley, schon der Name deutet es an, ist ein Ort der letzten Dinge, der die großen Fragen der menschlichen Existenz unter ein Brennglas legt. Zugleich ist es auch ein Ort reiner Körperlichkeit.
Die Sonne und die Felsen verleihen Isabelle Hupperts und Gérard Depardieus Spiel ein anderes Gewicht. Schon ihre Körper erzählen Geschichten. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Huppert unter diesen extremen klimatischen Bedingungen bewegt, wird zum Spiegel für Isabelles Innenleben. Sie sucht den Schmerz und die Strapazen nicht nur aufgrund ihrer Hoffnung auf ein Wunder. Sie haben für die leidende Mutter anders als für Depardieus Gérard etwas Reinigendes. Er stapft und schwitzt einfach, ohne Aussicht auf Erlösung. Die Schweißtropfen, die ihm ständig über das Gesicht und den oft nackten Oberkörper rinnen, sind Ausdruck einer langsamen Auflösung. Hier verliert jemand nach und nach die Kontrolle und damit sich selbst.
Natürlich sind trotz der Namensgleichheit die Figuren und ihre beiden Darsteller nicht eins. Aber die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird in Nicloux' Film porös. Darin liegt eine weitere unbeantwortete Frage. »Valley of Love« konfrontiert einen mit den eigenen Vorstellungen und Ideen von der Macht der Kinobilder. Wie oft werden ein Star und seine Persona in der öffentlichen Wahrnehmung gleichgesetzt. Gerade mit diesem Kurzschluss spielt Nicloux, um den Riss zwischen Kino und Realität zu betonen. Und aus eben diesem Riss steigen Geister hervor, die einen nicht mehr loslassen.
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