Kritik zu The Human Scale

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Die Stadt als Maß aller Dinge: Der dänische Regisseur Andreas M. Dalsgaard stellt den Stadtplaner Jan Gehl und dessen Überlegungen zur Gestaltung des urbanen Raums vor

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Bis Ende des 19. Jahrhunderts verlief das Wachstum der Städte weitgehend organisch. Mit der Industrialisierung setzte die erste große Migrationsbewegung vom Land in die Stadt ein, die urbane Strukturen nachhaltig veränderte. Nicht mehr das Forum als Ort der Zusammenkunft und des Handels stellte den Wesenskern der modernen Stadt dar, sondern die Ansammlung von Hochbauten, die zukünftig das Bild der Metropolen prägen sollten. Das Leben verlagerte sich von der Horizontalen in die Vertikale, und um dieser Entwicklung Herr zu werden, musste das Verkehrswesen radikal umgedacht werden.
 
So lautet in knapper Form die Prämisse des filmischen Essays The Human Scale von Andreas M. Dalsgaard, das sich mit der Idee der lebenswerten Großstadt befasst. Als Vorbild dient der dänische Stadtplaner und Urbanist Jan Gehl, der mit seinen Architekten im Film ausgiebig zu Wort kommt.
 
Dalsgaard zeigt an fünf nicht unbedingt gleichwertigen Praxisbeispielen aus Gehls Arbeiten, wie die Stadt wieder nach den Bedürfnissen des Menschen modelliert werden kann. Gehls ganzheitliche Maßnahmen verabschieden das Paradigma der Effizienz, sie sind strikt vom Menschen her gedacht. Wie bewegt er sich durch die Stadt und mit welcher Geschwindigkeit? Dem Problem des Wohnraums wird in seinen Überlegungen kein Raum gegeben, worin das erste Problem von Gehls Thesen besteht. Ihm geht es vor allem um die öffentlichen Räume, die die Menschen zur Partizipation einladen sollen, wie er es nennt.
 
Mehr Platz in den Innenstädten bedeutet mehr öffentliches Leben, lautet die einfache Gleichung. Für westliche Städte wie Kopenhagen mit der größten Fußgängerzone der Welt oder New York, das den Times Square vor einigen Jahren zur autofreien Zone erklärte, mag das noch funktionieren. In China und Bangladesch aber, wo Städte mit dem weltweit größten Wachstum geradezu explodieren, hat die ganzheitliche Behandlung Gehls wenig praktischen Nutzen. Hier sind Stadtplaner noch mit grundsätzlichen Problemen beschäftigt, wovon die Überbevölkerung nur das offensichtlichste ist. Mit Fahrradwegen und autofreien Zonen ist diesen nicht beizukommen.
 
The Human Scale entwickelt dabei mit seinem unterkühlten, minimalen Elektronik-Soundtrack und der hypnotischen Montage aus Talking Heads und Stadtimpressionen den Groove einer New-Age-Sitzung. Die Generalkritik Gehls ist die Abhängigkeit der Städte vom Auto. Dieses Problem haben Metropolen wie Los Angeles und Dhaka noch gemein. Wie der Bankrott Detroits, der nicht nur wirtschaftliche, sondern auch handfeste stadtplanerische und somit politische Gründe hat, zeigt, hat die Mobilität des Menschen das Wesen der Städte drastisch verändert. Das Paradigma der Mobilität trägt unverkennbar neoliberale Züge. Gehls Vorschläge bedeuten in letzter Konsequenz allerdings nur die andere Seite der Medaille. Denn die Wohlfühloasen in den westlichen Metropolen sind eben nur denen zugänglich, die es sich auch leisten können. Für solche weiterführenden Überlegungen reichen 75 Minuten jedoch nicht aus.

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