Kritik zu Zeiten des Aufruhrs
Auf der Titanic verkörperten Leonardo DiCaprio und Kate Winslet romantische Verliebtheit, nun durchleiden sie in Sam Mendes' Romanverfilmung die Abgründe ernüchternder Beziehungsroutine
Der erste Blick, der erste Flirt, der erste Tanz: In wenigen Strichen skizziert Sam Mendes die Höhenflüge der beginnenden Liebe, nur um alsbald die Zeit ein gutes Stück weiterzudrehen, von der vielversprechenden hoffnungsvollen Jugend zu den erstickenden Niederungen mittelständischer Ehe- und Lebensroutine. Es reicht, die verheißungsvollen Anfänge nur aufschimmern zu lassen, weil das Paar von Leonardo DiCaprio und Kate Winslet gespielt wird, deren große Liebe einst mit der Titanic unterging, lange bevor sich ihr Versprechen ein- oder auch auflösen konnte. Zehn Jahre später klingt jetzt das Echo dieser alles verzehrenden Liebe bei einem anderen Paar als längst verblasstes Glück nach. Sie heißen nicht mehr Jack und Rose, sondern Frank und April Wheeler, sie sind keine Teenager mehr, sondern um die dreißig, sie haben zwei Kinder und ein adrettes Haus in einer Straße, deren Name »Revolutionary Road« – so der Originaltitel – der blanke Hohn ist. Es sind die fünfziger Jahre, und wie bereits in »American Beauty« geht es Sam Mendes auch hier darum, wie sich verfahrene Lebensmechanismen stoppen lassen, wie man womöglich noch einmal ganz neu anfangen kann, und Leonardo DiCaprio wirkt da durchaus wie eine jüngere Version von Kevin Spacey.
In einem Moment niederschmetternder Ernüchterung blättert April in alten Fotoalben, aus den Erinnerungen an die vielversprechenden Anfänge schlägt sie die Funken einer waghalsigen Idee: Was wäre, wenn man alles hinter sich lassen würde, die Biederkeit der Vororte, die Ödnis des ungeliebten Bürojobs, die enttäuschten Hoffnungen auf eine Schauspielkarriere, all die Sicherheiten und Bequemlichkeiten, in denen die Lebensgeister systematisch erstickt werden. Was wäre, wenn man einen Aufbruch wagt, nach Paris geht, ein ganz neues frisches europäisches Leben beginnt ... Doch wie das Moskau von Tschechows »Drei Schwestern« ist auch das Paris der Wheelers eine Chimäre, ein Sehnsuchtsort, der sich der Erfüllung entzieht.
Wie einst der Deutsche Douglas Sirk seziert auch der Engländer Mendes mit kristallklarem Blick den trügerischen Schein des American Way of Life in den spießig saturierten Vorstädten. Auch bei ihm verkommt der oberflächliche Schein des Schöner Wohnens zu einer kalten Ausstellungsvitrine, in der die Menschen dazu verdammt sind, immergleiche Kreise zu ziehen. Hinter der frischen Helligkeit des Lichts lauern Banalität und Leere, der hypnotisch mitreißende Drive der Musik hat zugleich etwas gefährlich Einlullendes, und im Spiel von DiCaprio und Winslet schimmert hinter der aufflackernden Euphorie schon die unvermeidliche Resignation und Ernüchterung auf.
Erst 40 Jahre, nachdem Richard Yates die Filmrechte an seinem 1961 veröffentlichten Debütroman verkauft hat, ist die Verfilmung zustande gekommen – der Autor mutmaßte damals, dass die Zuschauer wohl noch nicht bereit gewesen seien »für eine Geschichte solch unerlöster Tragik«. Obwohl sie in den fünfziger Jahren spielt und in den sechzigern geschrieben wurde, hat sie eine stechende Aktualität bewahrt. Und man darf vielleicht sogar vermuten, dass dieses Projekt auch bei der Schauspielerin Kate Winslet und dem Regisseur Sam Mendes, die privat ein Paar sind und zwei Kinder großziehen, womöglich eigene Erfahrungen berührt hat, auch wenn sie als Künstler weniger anfällig sein dürften für die lähmende Langeweile des bürgerlichen Mittelstandes.
Die Nachricht von den verwegenen Plänen der Wheelers schlägt in ihrem Umfeld ein wie eine Bombe, wie ein persönlicher Affront wirkt die Ungeheuerlichkeit ihrer Absichten. Weil ihre Flucht den ganzen Lebensentwurf dieser Gesellschaftsschicht infrage stellen würde, schlägt ihnen eine mächtige Welle entgegen, mit fassungslosen Bemerkungen und zersetzenden Argumenten, aber auch mit vielversprechenden Karrieregelegenheiten. Als die befreundete Maklerin (Kathy Bates) mit ihrer Familie zum Essen kommt, erweist sich ihr geistig verwirrter, erwachsener Sohn als einziger Verbündeter: »Er ist der Einzige, der die Leere und Langeweile wahrnimmt. Er ist geistesgestört – heißt das, wir sind auch verrückt?«, fragen sich die Wheelers und können dem unerbittlich wuchernden Gespinst aus Resignation und Selbstbetrug nichts entgegensetzen.
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