Nachruf: Paolo Taviani

Realismus und Poesie
Elena Ternovaja creator QS:P170,Q110906093 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paolo_Taviani_at_Berlinale_2022.jpg), „Paolo Taviani at Berlinale 2022“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

Elena Ternovaja creator QS:P170,Q110906093 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paolo_Taviani_at_Berlinale_2022.jpg), „Paolo Taviani at Berlinale 2022“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

8.11.1931 – 29.2.2024

»Leonora Addio« von Paolo Taviani ist so etwas wie eine Annäherung an den italienischen Dichter Luigi Pirandello: Nach dem Krieg holt ein Beauftragter der Stadt Agrigent die Urne Pirandellos aus Rom, damit er in Sizilien bestattet werden kann. Es ist eine schwarzweiße Odyssee durch das Nachkriegsitalien, und in einem zweiten Teil hat Taviani, in Farbe, die letzte Geschichte Pirandellos verfilmt, »Der Nagel«. »Leonora Addio« lief 2022 ziemlich unbeachtet im Wettbewerb der Berlinale, er kam auch nicht in unsere Kinos. »Für meinen Bruder Vittorio«, heißt die Widmung zu Beginn des Films. Bis zu Vittorios Tod 2018 hatten die Tavianis ihre Filme zusammen inszeniert, seit ihrem ersten Kurzfilm über ihre Heimatstadt (»San Miniato Iuglio '44«) von 1954, so symbiotisch, dass niemand wusste, wer welche Szene realisiert hatte. Vieles von dem, was das Werk der Brüder ausmacht, steckt in Leonora Addio, nicht nur die Beschäftigung mit Pirandello (von dem sie fünf Geschichten in ihrem Magnum Opus Kaos, 1984, verfilmten), sondern auch ihre Wurzeln im Neorealismus und ihr Vermögen, harte Zeitumstände mit Humor zu konterkarieren. Ihren Durchbruch hatten die Tavianis mit Padre Padrone, der Geschichte eines Hirtenjungen, der gegen den Willen seines Vaters ein Studium beginnt. Der Film über das harte von patriarchalischen Strukturen geprägte Leben sardischer Schäfer gewann 1977 die Goldene Palme und wurde ein Erfolg in den bundesdeutschen Programmkinos.  In »Die Nacht von San Lorenzo« (1982) rekonstruierten sie ein Massaker deutscher Truppen in einem toskanischen Dorf. »Good Morning, Babylon« (1987), in dem zwei aus Italien ausgewanderte Brüder an Griffiths monumentalem Stummfilm Intolerance mitarbeiten, wurde zu einer opulenten Feier des Kinos. Ihren letzten großen Erfolg hatten die Tavianis mit »Cäsar muss sterben«, in dem Häftlinge Shakespeares »Julius Cäsar« proben, mit echten Strafgefangenen sechs Monate gedreht im römischen Hochsicherheitsgefängnis Rebibbia. Der Film gewann 2012 den Goldenen Bären der Berlinale.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt