Nachruf: Eckhart Schmidt

Das unendliche Werk
Eckhart Schmidt (2020). Foto: Parola per parola (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eckhart_Schmidt_Filmkunstwochen_2020.jpg), „Eckhart Schmidt Filmkunstwochen 2020“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

Eckhart Schmidt (2020). Foto: Parola per parola (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eckhart_Schmidt_Filmkunstwochen_...), „Eckhart Schmidt Filmkunstwochen 2020“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

31. 10. 1938 – 24. 10. 2024

Über Geschmack lässt sich sehr wohl streiten – Eckhart Schmidt war und ist ein herausragender Regisseur der deutschen Filmgeschichte, und wer auch immer das Gegenteil behauptet hat und weiterhin behauptet, hat nichts vom Kino und seinen Facetten verstanden. 

Von Mitte der 1960er Jahre an bis unmittelbar vor seinem Tod spannt sich sein Lebenswerk auf. Beseelt und kompromisslos sind die Worte, mit denen es sich am ehesten beschreiben ließe.

Sein bis heute bekanntester Film »Der Fan« (1982) wird hoffentlich eines Tages einen festen Platz finden in der Ehrenliste des denkwürdigen (deutschen) Autorenkinos und nicht mehr nur assoziiert werden mit »Skandal« und »Kannibalismus« (wie es etwa Oshima Nagisas »Im Reich der Sinne«, 1976 vergönnt war. Denn Der Fan ist eine visuell betörende und nachhaltige, heute wieder aktuelle (verwiesen sei auf den Fankult um Taylor Swift) Studie über eine irrsinnige, fast schon Edgar-Allen-Poe-hafte Liebe und Besessenheit, über die Mechanismen der Kulturindustrie und ihren Einfluss auf die Seelen derer, die von ihr in geistige Gefangenschaft genommen werden. Man höre genau auf den Inhalt der Briefe, die der Teenager Simone an sein Idol schreibt: Eckhart Schmidt war ein begnadeter Autor, vermochte es, wunderbar eingängige, berührende Worte für die Gefühlswelt seiner Figuren zu finden.

Geboren 1938 in der inzwischen tschechischen Stadt Šternberk, wuchs Schmidt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als Kind von Vertriebenen in Süddeutschland auf, worüber er in seiner Autobiografie »Stichworte« (2018) eindringlich schreibt: über das Ausgestoßensein, über die Fremdheit. Nach dem Abitur wirkte er Ende der 1950er Jahre in Ulm, damals das Zentrum der westdeutschen Avantgarde, die er genau beobachtete. Er ging, mit seiner Frau und künstlerischen Partnerin Isolde ter Jung, nach München, wurde Filmkritiker (u. a. bei der SZ), himmelte Raoul Walsh, Godard und Anne-Marie Miéville an und arbeitete für den Bayerischen Rundfunk, wo er, ohnehin gedankenschnell und unermüdlich, zusätzlich lernte, effizient und genau zu arbeiten. Aus einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten um Klaus Lemke, Rudolf Thome und Max Zihlmann heraus drehte er seine ersten Kurzfilme und realisierte 1967 den ersten Langfilm, »Jet Generation«, mit Roger Fritz als Hauptdarsteller und Produzent. Spätestens ab seinem zweiten Langfilm (Atlantis – Ein Sommermärchen aka Männer sind zum Lieben da, 1970) machte er Filme nur nach seiner Vorstellung – oder wie eben Walsh und Miéville sie gemacht haben könnten.

Nach jahrelanger Pause vom Kino, die u. a. sein legendäres Punkmagazin S!A!U! hervorbrachte, kehrte er mit Der Fan dorthin zurück – und sollte dann in Fassbinder’schem Tempo in den darauffolgenden sechs Jahren ganze sieben weitere Spielfilme drehen. Darunter sind singuläre Werke wie »Das Gold der Liebe« (1983) und »Alpha City« (1985), traumverlorene, durch und durch schwarz­romantische Oden an die Nacht, das Dunkel, die Sehnsucht und die Einsamkeit. Mit »Das Wunder« (1985) folgte ein Zentralwerk des spirituellen Kinos und mit »Loft« (1985) ein großartiger Horrorfilm. 

Ab den 1990ern begann seine an Produktivität nicht zu überbietende zweite Karriere: Er drehte Dokumentarfilme, vor allem in und über Los Angeles, aber etwa auch über das italienische Kino, und ab 2016 realisierte er Filme, die er in römischen Zyklen auf DVD und Blu-ray zusammenfasste und die in den letzten Jahren immer wieder auch im Kino aufgeführt wurden. Fritz Göttler schrieb in seinem Nachruf in der SZ vom 26.10.2024: »Diese späten Filme und Bücher bilden ein magisches Gewebe aus Erinnerungen und Improvisation, das Kino als Ort anheimelnder Unsicherheit, ohne Anfang und Ende, Einstieg und Ausweg, eine Traumwelt, in der man sich bedingungslos verlieren muss.«

Schmidt erlebte in den letzten Jahren, während er unermüdlich weiterarbeitete, von seiner antreibenden Partnerin Gorana Dragaš unterstützt, 
eine Wiederentdeckung seiner Filme und neue Anerkennung, die er mal ungläubig, mal beglückt wahrnahm. Es gibt noch sehr viel zu entdecken in seinem Werk, nun, nach seinem Tod kurz vor seinem 86. Geburtstag.

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