Frauen Film Fest Dortmund+Köln
»Ellbogen« (2024). © Massimo Di Nonno
Am 23. Februar letzten Jahres verstarb mit 80 Jahren die außerordentliche Filmemacherin, Aktivistin, Autorin, Künstlerin, Kuratorin und Lehrerin Birgit Hein. Die hatte prägende Jahre ihrer Zeit auch in Köln verbracht, wo sie 1968 mit anderen Afficiniados und Filmkritikern »XSCREEN« gründete, eine der ersten Abspielstätten für nicht-kommerzielle Filme in Deutschland. Das »Kölner Studio für den unabhängigen Film« mischte bei seinen Abenden mit Experimentalfilm und Performances die Kölner Kunstszene und die Ordnungsmächte auf. Denn das damalige Deutschland war prüde und die Justiz für den entspannten Umgang mit den Arbeiten etwa des Wiener Aktionismus nicht bereit.
Das sah sehr anders aus, als Hein jetzt im April noch einmal in dem Special »Bildertauchen« bei der Kölner Ausgabe des Internationalen Frauen Film Fest Dortmund Köln gewürdigt wurde: Mit einem überzeugend schlicht gestalteten Filmporträt von Karin Jurschick (»Im Spiegel der Bilder«, 2001), zweien ihrer Filme und bewegenden Worten von Festivalleiterin Maxa Zoller und von Heins ehemaligem Studenten, späteren Experimentalfilmer und jetzigen Film-Professor Matthias Müller. Der erzählte, wie er zu Beginn seines Studiums unbeabsichtigt in Heins Filmklasse an der Braunschweiger Hochschule der Künste gelandet war, wo der Ton »distanzlos und rüde« gewesen sei, die Inhalte aber lehrreich und inspirierend: »Ich hatte gar nicht nach einem Role Model gesucht, sie war eines«.
Als Feministin sah sich Hein nie. Als einzige durchaus eigenwillige und selbstbewusste Frau unter Männern war sie praktisch durchaus eine. Nicht nur mit ihren »Kali-Filmen« oder »Die unheimlichen Frauen« (1991) hatte sie filmische Pionierarbeit für die – auch sexuelle – Unbotmäßigkeit von Frauen geleistet. So fand sich ihre Transgression weiblicher Normalität gut aufgehoben bei einem Festival, das sich (nach den »Komplizinnen« letztes Jahr) als Schwerpunkt des diesjährigen Fokus das Thema »Rage & Horror« vorgenommen hatte.
Also individuelle und kollektive Gefühle von Wut und Zorn und ihre Konsequenzen, die in dieser Sektion in unterschiedlichsten Genres durchgespielt wurden. Die Re-Aktivierung der dem Weiblichen entweder per Natur abgesprochenen, sozial abtrainierten oder als unangemessen sanktionierten und pathologisierten negativ aufbrausenden Gefühle ist unter FrauenrechtlerInnen schon seit dem 17. Jahrhundert ein Topos. Im Kino wurde es besonders lustvoll und unverblümt im frühen von Konventionen noch ungeschliffenen Stummfilm der Vorkriegszeit ausagiert und mit der neu entdeckten und ausgiebig angewandten Filmtechnik der Montage vorgeführt.
Denen galt auch in Köln das Programm »Wütende Stummfilmpionier*innen«: Da setzt sich in »The Dairymaid's Revenge« von 1899 (Regie: Frank S. Armitage) eine junge Milchmagd gegen die Belästigung durch einen Kollegen oder Chef mit einer erst durch das Ende des Films gestoppten Serie kübelweise über seinen Kopf gekippter und zu einem See anwachsender Milch zur Wehr: Vermutlich die filmische Weltpremiere in Sachen weiblicher Me-Too-Gegenwehr. Da der Film insgesamt nur eine Minute kurz ist, wurde er bei IFFF zum längeren Genuss des Publikums netterweise in Zeitlupe gezeigt. In »La paresse de Polycarpe« (Regie: Ernest Servaès, 1914) knockt eine stattliche Matrone immer wieder ihren untätigen Ehemann aus, der bei jeder der ihm aufgetragenen kleinen Verrichtungen im Haushalt stante pede einschläft. Ist das nun weibliche Durchsetzungsfähigkeit oder eine invertierte Version häuslicher Gewalt? Überhaupt ein auch gedanklich inspirierendes Programm. Eher polarisiert allerdings die Publikumsmeinung über die begleitende experimentelle Live-Musik des Duos Gunda Gottschalk und Mariá Portugal, die viele begeisterte, von manchen aber auch als unangemessen dominant und vor allem rhythmisch als wenig kongenial empfunden wurde.
Im aktuelleren Filmschaffen hat Sektions-Kuratorin Betty Schiel sich vor allem (aber keineswegs nur) feministisch gewendetem Horror zugewandt, der auch jenseits von Cannes-Gewinner »Titane« kraftvolle Ausformungen findet. So macht die malaysische Regisseurin Amanda Nell Eu in »Tiger Stripes« (2023) die Menarche eines rebellischen Mädchens zum Initiationspunkt für eine (auch bild)-mächtige metamorphotische Selbstermächtigung mit dämonischem Hintergrund. Übersinnliche Kräfte und weibliche Natursäfte wirken auch in dem als klein-familiäres No-Budget-Kollektiv-Projekt realisierten »Hellbender« (Regie: Toby Poser), der dramatische Umbrüche einer matrilinearen Hexendynastie in der überschwänglichen Natur der US-Ostküste mit Rockmusik, Mutter-Tochter-Clinch, veganen Essstörungen und einem Touch Münchhausen-Syndrom durchexerziert.
Doch es ging auch um konkrete historische Wut wie etwa die der AfroamerikanerInnen in den USA, die in zwei Dokumentarfilmen der Sektion (»Black Panthers« von Agnès Varda, 1968, und »A Place of Rage«, Pratibha Parmar, 1991) Thema waren. Oder der semi-dokumentarische »Mato seco em chamas« von Joana Pimenta und Adirley Queirós, der eine lesbisch-schwarze Motorradgang in einer brasilianischen Favela feiert, die neben dem Aufbau eines illegalen Benzinhandels auch im Wahlkampf gegen den damaligen Präsidenten Bolsonaro aktiv wird. Unter dem Titel »Pretty Deadly Self Defense« wurde bei Festival sogar ein Kurzkurs zur Selbstverteidigung gegen Filmzombies und Slasher angeboten.
Auch in anderen Sektionen des IFFF war der Zorn als Thema präsent. So in »Mambar Pierette« von Rosine Mbakam, die – ebenfalls dokufiktional – den harten Kampf einer Schneiderin in Douala um Autonomie und gegen patriarchale Unterdrückung aufzeigt. Ganz deutlich sind die negativen Emotionen auch in Aslı Özarslans vom Publikum gefeierten (wegen der großen Nachfrage wurde er mehrfach nachprogrammiert) und dann auch mit dem Preis des mit acht Filmen bestückten Debüt-Wettbewerbs ausgezeichneten Spielfilm »Ellbogen« (Filmstart 3. Oktober), wo Unmut und Frustration der jungen Berlinerin Hazal über ihre eigene Situation und die gesellschaftlichen und familiären Verhältnisse erst in einer Gewalttat und dann leider nicht in weiser weiblicher Selbstermächtigung münden. Nicht immer ist Wut der beste Ratgeber.
Die Kölner Ausgabe des alternierend dort und in Dortmund stattfindenden Festivals ist traditionell auch den Kamerafrauen gewidmet, die bei Oscars und Lolas immer noch zu spärlich Würdigung erfahren – beim Deutschen Kamerapreis 2023 waren von acht Nominierten immerhin zwei Frauen. Umso wertvoller der beim IFFF in zwei Sparten vergebene Nationale Preis für die beste Bildgestalter*in, der dieses Jahr für den Spielfilm an Greta Isabella Conte für »Die feige Schönheit« (Regie: Moritz Krämer) ging, der unter anderem für den »Mut zu besonderen Kadrierungen« und die Integration der Architektur gewürdigt wird. Interessanterweise werden von der Jury auch bei Caroline Spreitzenbart für den Collage-Film »Life Is Not a Competition, But I'm Winning« (Regie: Julia Fuhr Mann) der Mut zur Kreativität und die Einbindung der Architektur hervorgehoben.
Ebenfalls um die Kameraarbeit geht es bei dem seit 2009 regelmäßig beim Festival in Köln stattfindenden vierstündigen Werkstattgespräch von Sophie Maintigneux (mittlerweile Professorin für Kinematografie für fiktionale Medien und neue mediale Formate an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf) mit einer anderen Kinematografin anhand von Maintigneux ausgewählter Filmszenen. Diesmal war dies die gestandene und mehrfach ausgezeichnete Dokumentaristin Susanne Schüle, die unter anderem mit Stanislaw Mucha und André Schwarz gearbeitet hat (und arbeitet) und derzeit ebenfalls Kamera-Professorin in Babelsberg ist.
Auch wer nicht vom Fach ist, konnte wieder einmal jede Menge darüber lernen, wie exakte Planung, Zeit für die Durchführung, spontane Intuition und Erfahrung das künstlerische Ergebnis formen. Thema unter anderem die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der Regie, wobei Schüle klar machte, dass sie sich Übergriffigkeiten wie ins Ohr geflüsterte Hinweise auf während des Drehs auftauchende Situationen oder Personen verbietet (»...lieber schieb mir die Person ins Bild!«). Aber auch, dass André Schwartz bei »Europa Passage« (2022) einen ganzen halben Tag Raum gab, um die Anfangstotale fotografisch angemessen zu gestalten. Schüle beschreibt das dokumentarische Drehen als von Erfahrung geprägte intuitive Praxis im Hier und Jetzt. So kadriere sie (wie Maintigneux auch) nur durch den Sucher, brauche den dunklen Raum, damit die Kamera beim Dreh ganz Teil des Körpers werde. Das Werkstattgespräch wurde – wie auch fast alle anderen Teile des Festivals – vom Publikum begeistert angenommen, dennoch soll 2024 leider der letzte Durchgang gewesen sein. Welche Ratschläge sie für die junge Generation von Kamerafrauen habe, fragt Maintigneux zum Schluss?: Weiter dran bleiben! Solidarisch sein! Wissen weitergeben! Netzwerke schaffen!
Festival-Trailer
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