Interview: Zar Amir Ebrahimi über »Holy Spider«
Zar Amir Ebrahimi in »Holy Spider« (2022). © Alamode Film
Frau Ebrahimi, hatten sie von der realen Geschichte des Serienmörders, die sich vor zwanzig Jahren im Iran zugetragen hatte, schon einmal gehört, bevor Sie zu diesem Filmprojekt stießen?
Ja, weil ich damals noch im Iran lebte und auch, weil es vor und nach dieser Mordserie ähnliche Mordserien gab. Die sorgten für Angst, vor allem unter den Frauen, auch ich hatte damals Angst, alleine ein Taxi zu nehmen.
Als Darstellerin sind Sie relativ spät zu diesem Film gekommen – wie viel Zeit blieb Ihnen da noch für Ihre Vorbereitung?
Ungefähr eine Woche.
Oh! Dann mussten Sie ihre Figur innerhalb kürzester Zeit vorbereiten. Was war Ihnen dabei wichtig?
Das war in der Tat eine große Herausforderung. Ursprünglich war ich als Casting Director für diesen Film engagiert worden. In dieser Funktion hatte ich mit über 50 Darstellerinnen über den Film und besonders über diese Rolle gesprochen. Ali Abassi, der Regisseur des Films, hatte sehr spezifische Vorstellungen dabei und wir konnten die richtige Darstellerin nicht finden. Er arbeitete währenddessen noch am Drehbuch und wir fragten uns: was ist die Motivation dieser Figur? Während der Castings hatte ich darauf auch noch keine Antwort, warum diese Journalistin hier ihr Leben riskiert. Erst als ich die Rolle bekam, wurde mir das klar. Ich bin ja seit zwanzig Jahren Schauspielerin, die Castingtätigkeit ist untergeordnet. Wenn ich eine Figur verkörpere, entwickle ich sie aus meiner eigenen Lebenserfahrung. Die Castings dauerten hier den ganzen Tag, es war dann mittlerweile drei Uhr nachts und wir probten die Szene, in der der Polizeioffizier nachts in das Hotelzimmer der Journalistin kommt.
Das wurde für Sie eine Schlüsselszene?
Da hatte ich plötzlich einen Punkt, wo ich diese Figur mit meinen eigenen Erfahrungen verknüpfen konnte. Das war mein Ausgangspunkt, von dem aus ich meine Recherchen entwickelte. Ich sprach mit befreundeten Journalisten im Iran, die mir viele Geschichten erzählten über ihre Arbeitsweise, über das Verhältnis zu ihren Vorgesetzten, über ihr Verhältnis zur Polizei. Ich sprach auch mit französischen Journalistinnen und begriff, dass Ähnliches auch für andere Länder gilt, dass es universelle Gemeinsamkeiten gibt, es im Iran aber zugespitzter ist, wegen des totalitären Regimes, wegen der patriarchalischen Gesellschaft und der damit einhergehenden Unterdrückung der Frauen. Mich hat es überrascht, weil ich bis dahin immer im Kopf hatte, ein Journalist zu sein, bedeutet, dass Du eine Stimme hast und niemand Dich aufhalten kann.
Können Sie uns etwas über die Arbeitsweise von Ali Abbasi erzählen?
Als dann der Dreh begann, sah ich, dass Ali eine sehr eigene Arbeitsweise hat. Bei den meisten Szenen waren wir sehr frei – es gab keine zwei Takes, die identisch waren. Er lässt die Schauspieler improvisieren – an einem bestimmten Punkt kommt dann etwas heraus, was passt. Das empfand ich als sehr motivierend. Die ganze backstory für diese Figur, ihre Auseinandersetzungen mit ihrem Vorgesetzten, das dachte ich mir aus. Ich hatte den Eindruck, dass Rahimi schon in mir schlummerte, ich musste sie nur zum Leben erwecken.
Gestern Abend war hier die deutsche Premiere beim Filmfest Hamburg und parallel sah man in den Nachrichten die Bilder von Frauen (und auch Männern), die im Iran auf die Straße gehen – dabei wurde mir noch einmal klar, dass am Ende die Herrschenden nicht mehr alles unter Kontrolle halten können. Es kommt der Moment, wo man auf die Straße geht und sein Leben riskiert.
Wäre es für Sie möglich in den Iran zurückzukehren oder müssten Sie dann mit einer Verhaftung rechnen, einer Anklage oder zumindest, dass Ihnen Ihr Pass weggenommen wird und Sie das Land nicht wieder verlassen können?
Das Verfahren gegen mich ist noch nicht abgeschlossen, ich musste damals den Iran verlassen, weil ich wusste, wäre ich dort geblieben, hätte ich mein Leben riskiert. Vielleicht wird sich das eines Tages ändern, aber da es sich in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht geändert hat, bin ich pessimistisch – zumindest was die nähere Zukunft anbelangt. Ich bin mir sicher, würde ich dort am Flughafen ankommen, würden sie mich sofort ins Verhör nehmen und ich müsste vor Gericht erscheinen, weil ich mich dem vor fünfzehn Jahren entzogen habe.
Aber Sie haben noch Freunde dort, mit denen Sie über das Internet und andere Kommunikationsmöglichkeiten verbunden sind?
Ja, viele Angehörige meiner Familie und viele Freunde sind noch dort, der Kontakt ist mir wichtig, über die Sozialen Medien ist das zum Glück gut möglich.
Hat der Darstellerpreis beim Festival von Cannes etwas für Sie verändert? Etwa in Form von Angeboten aus anderen Ländern?
Ja, ich habe einen Film mit einer jungen iranischen Regisseurin, Noora Niasari, gedreht, die in Melbourne, Australien lebt und bei dem Cate Blanchett als ausführende Produzentin fungierte. Es geht dabei um häusliche Gewalt – es scheint so, als müsse ich in jedem meiner Filme leiden (lacht). Ein weiterer Film entstand in Frankreich, wo ich eine afghanische Frau spiele, die versucht in Frankreich Asyl zu erhalten, außerdem steht in absehbarer Zeit ein weiterer Spielfilm über die Probleme von Frauen im Iran an. Was den Preis in Cannes betrifft, so sehe ich den schon als eine Botschaft an die Welt. Ich habe mein Leben dem Kino verschrieben – von dem Tag an, als ich den Iran verließ, habe ich mir in keinem Moment gesagt: »Ich werde nie wieder vor der Kamera stehen oder ich sage 'Auf Wiedersehen' zum Kino«.
Sie stehen nicht nur vor der Kamera...
Ich habe meine eigene Produktionsgesellschaft, ich habe am Theater gearbeitet, kurzum, ich war die ganze Zeit über aktiv. Ich bin jetzt fast 40 und kurz vor Cannes habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob ich mich künftig auf die Produktionsseite konzentrieren sollte, mich nicht mehr mit dem Casting herumschlagen soll (das manchmal schon ziemlich deprimierend sein kann). Sollte ich mein Leben weiterhin dem Kino opfern? Insofern kam diese Auszeichnung genau zur richtigen Zeit, das bestätigten mir auch viele Gespräche mit Freunden danach. Das Fenster, das sich dadurch für mich geöffnet hat – zu einem Zeitpunkt, wo ich ziemlich erschöpft war – werde ich versuchen zu nutzen, mit der neuen Motivation, die mir diese Auszeichnung gegeben hat.
Man merkte es an Ihrer Rede bei der Entgegennahme des Preises. Wie sind Sie denn für »Holy Spider« mit Ali Abassi zusammengekommen? Im Iran kannten Sie sich vermutlich noch nicht?
Nein, aber ich hatte seinen ersten Film »Border« gesehen, als der in Frankreich in Kino lief, und war sehr beeindruckt davon. Das ist wirklich einer meiner Lieblingsfilme, ich habe ihn mir gleich mehrfach angesehen und fragte mich, wer ist dieser Regisseur? Dann rief mich eine befreundete Produzentin an und erzählte, dass Ali Abassi einen neuen Film vorbereiten würde und auf auf der Such nach einem casting director sei. Als Schauspielerin habe ich ja selber oft genug Castings gemacht und eine entsprechende Erfahrung, zudem werde ich bei iranischen Ko-Produktionen öfter in beratender Funktion herangezogen. Ich muss sagen, dass ich mit Filmen aus der Diaspora Probleme habe: nimmt man einen Darsteller, der den richtigen Akzent hat oder aber einen, der die bessere Körpersprache hat? Man dreht den Film für ein europäisches Publikum und ich habe wiederholt gehört, dass ein Produzent sagt, »Machen Sie Sich darüber keine Sorgen, die Zuschauer merken den Unterschied nicht – es ist ja nicht für Zuschauer im Iran gedacht.« Aber ich sehe natürlich schon die Unterschiede, ich merke oft, dass etwas nicht funktioniert, ohne genau sagen zu können, woran das liegt. Als ich deshalb die Anfrage für das Casting von »Holy Spider« bekam, wollte ich das auf jeden Fall machen – der Film sollte in dieser Hinsicht so authentisch wie möglich sein. Da Ali eine ähnliche Berufsauffassung hat, waren wir sofort auf einer Linie, ich wurde dann auch 'associate producer' des Films, glücklicherweise begriffen die Produzenten dieses Films, dass er authentisch sein sollte – was uns dann durch die Vorführungen bei verschiedenen Festivals bestätigt wurde.
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