Kongress von Vision Kino: »Kino jetzt erst recht«
»Räuberhände« (2020)
Parallel zum Medienfestival »Goldener Spatz« in Erfurt fand am 9. und 10.6. der Kongress von Vision Kino unter dem Motto »Kino jetzt erst recht« statt
Pandemiebedingt war der Kongress der Agentur für Film und Medienkompetenz vom Herbst 2020 verschoben worden, aber auch jetzt konnte er lediglich digital durchgeführt werden. Seit Anfang vergangenen Jahres ist Leopold Grün Geschäftsführer der Vision Kino, ein ausgebildeter Lehrer, der auch Erfahrung aus der Filmpraxis mitbringt und eine hervorragende Wahl für diese Aufgabe ist. In seiner ruhigen und kompetenten Art und Weise führte er die Teilnehmenden durch die zwei Tage, unterstützt von seinem Moderatorenteam.
Die besten Momente des Kongresses waren die Livegespräche, denen man folgen konnte, als säße man mit dabei, wie dem abendlichen Streaming von »Räuberhände« von Ilker Catak, mit anschließender Filmdiskussion. Auch das Gespräch, das Caroline Link mit vier Kindern der FBW-Jugendjury geführt hat, blieb haften. Die Jugendlichen wünschen sich Helden aus der Nachbarschaft und Figuren, die nicht eindimensional erzählt sind, gleichzeitig wollen sie Überraschendes und nicht von Filmbeginn an wissen, wie die Story weitergeht. Ihr Appell an die Filmemacher: Wir wollen ernst genommen werden, also erzählt uns komplexere Geschichten!
Die Tagungsthese »Kino jetzt erst recht« bestimmte auch den Talk von Leopold Grün mit den Filmemacherinnen Joya Thome, Jamila Wenske und Bettina Blümmer, bei dem es dezidiert um das Früher und ein Morgen ging. Eine wunderbare Zeitreise zurück in die Kindheit und Ausblicke auf zukünftige Projekte der drei Frauen, die schilderten, wie und warum sie beim Film gelandet sind.
Hatte man sich für eines der Panels oder einen Workshop angemeldet, konnte man leider nicht mehr in andere »Räume« wechseln. Die Themen waren breitgefächert und reichten bis zur »Interkulturellen Filmbildung«, einem Workshop, der zwei halbe Tage umfasste. Hier wurde die Wahrnehmung für Stereotype geschärft. Wie gehen wir mit Rollenbildern um, und welche Möglichkeiten gibt es, die Schüler so einzubeziehen, dass sie sich nicht bevormundet fühlen, sondern selbstreflexiv mit gelernten Mustern umgehen? Der Vortrag des Filmvermittlers Stefan Stiletto, mit Filmausschnitten aus vermeintlich unverdächtigen Filmen, lenkte die Aufmerksamkeit auf Klischees, die nach wie vor tradiert werden, auch in »Spiderman«- oder »Harry Potter«-Filmen. Es wurde darüber debattiert, ob wir in der Medienpädagogik Film als Werkzeug nutzen, um den Schülern etwas aktiv zu vermitteln, oder ob wir mit ihnen Filme untersuchen, um sie selber Erkenntnisse gewinnen zu lassen? Dem Machtgefälle entkommen wir jedenfalls in beiden Ansätzen nicht.
Das Panel »Populismus und rechte Agitation« machte deutlich, wie nah rechte Manipulation bereits an die Arbeit der filmpädagogisch arbeitenden Menschen herangerückt ist. Laszlo Upor, der bis 2020 an der Uni für Theater- und Filmkunst in Budapest tätig war, schilderte in einem Impulsvortrag, wie zügig die populistische Regierung in Ungarn die Kulturszene umbaut. Oliver Gibtner-Weidlich beschrieb eigene Erlebnisse seiner Schulkino-Wochen in Sachsen, die Angriffen aus dem rechten politischen Lager ausgesetzt sind. Hier sind Lehrer mittlerweile vorsichtig in der Buchung bestimmter Filmtitel, aus Angst, sich angreifbar zu machen.
Sehr deutlich hat der Kongress herausgestellt, dass (Film-)Bildung etwas mit einer politischen Haltung zu tun hat. Mit keiner Kunstform kann man so viel vermitteln, wie durch den Film, denn hier schaffen es die Helden, Empathie zu erzeugen und dadurch die Zuschauer zu berühren. So kann das Kino eine Schule des Lernens sein, und im Idealfall gelingt es, neue Welten zu öffnen und für verschiedene Lebensformen zu sensibilisieren. Daran arbeiten Vision Kino und alle diejenigen, die sich zu den Zielen einer pluralistischen Gesellschaft bekennen und populistischen Thesen entgegentreten. In ihrem Grußwort hatte Monika Grütters der Vision Kino 3 Millionen Euro für Aktionen gegen rechts zugesagt.
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