Clermont-Ferrand Short Film Festival
»Disillusioned« von Sim Kyuho
Das wichtigste Kurzfilmfestival der Welt – und keiner geht hin. Clermont-Ferrand zeigte aber, dass man mit und um Corona herum arbeiten kann. Für die Kurzfilmrezeption tun sich sogar Chancen auf
Wir könnten jetzt darüber schreiben, dass in Clermont-Ferrand schon die Plakate hingen, weil man bis zum letzten Moment noch geglaubt hatte, die Menschen in die Kinos zu holen. Wir könnten von enttäuschten Filmemachern schreiben, von überlasteten Servern und von hakeligen Videokonferenzen mit Branchenvertretern. Aber da ist auch der neue Großbildfernseher, angeschafft nach dem ersten Lockdown, auf dem sich die Kurzfilme gar nicht so schlecht machen. Da sind die Filmemacher, die dennoch ihre Filme eingereicht haben, und die Organisatoren, die in aller Kürze der Zeit das Festival erfolgreich ins Internet verlegt haben. Und da ist in der Krise auch eine Chance für den Kurzfilm, über die wir berichten können.
Was haben wir gelacht – bei früheren Festivals, diesmal eher nicht. Die Filme waren wieder einmal toll, jedoch hat man das Gefühl, dass viele bereits die Krise antizipiert hatten. Gedreht wurden die meisten noch vor Covid-19, das Virus wird nicht direkt thematisiert. Aber die Kuratoren haben ein sehr nachdenkliches Programm zusammengestellt. Zukunftsangst, innere Konflikte, Familie sind die herausragenden Themen. Vielleicht haben wir den Spaß auch nur übersehen, bei mehr als hundert Kurzfilmen kann das schon passieren.
Jean-Bernard Emery, Pressesprecher des Festivals und selbst in der Auswahlkommission, berichtet von einer Eskapismuswelle: Einige Filme, die während der Krise entstanden seien, würden in der Natur spielen, im Wald, am Meer. Eine Flucht vor den Lockdowns und vielleicht auch Pragmatismus: Im Wald ist das Filmen derzeit einfacher als in einer Stadt oder einem Studio. Zwar können Kurzfilmmacher flexibler auf die Krise reagieren als ihre Spielfilmkollegen, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. »Filmemachen ist derzeit fast unmöglich«, berichtet der Südkoreaner Sim Kyu-ho. Sein Film »Disillusioned« erzählt eine mystisch-atmosphärische Geschichte um einen Mann, der vor Verzweiflung und Sorge um seine Zukunft aufs Land zieht. Die Drehorte: eine Flusslandschaft, eine Wohnung, ein Laden für Altmetall. »Alle Häuser in meinem Film sind echt, keine Filmsets«, sagt Sim, »ich bin an diese Orte gegangen, habe an fremde Türen geklopft. Heute geht das nicht mehr.«
Profitiert hat das Nischenprodukt Kurzfilm trotzdem. Der Boom der Streamingdienste ist auch hier spürbar. »Zu Beginn des Lockdowns in Großbritannien haben wir einen deutlichen Anstieg verzeichnet«, sagt Sami Arpa vom Schweizer Kurzfilm-Streamingdienst Sofy.tv. Um fast ein Drittel seien die Abrufzahlen gestiegen. Die Zahl der Abonnenten weltweit (Nutzer des kostenlosen Testzeitraums eingeschlossen) habe sich etwa verfünffacht.
Der Produzent und Verleiher Ignacio Hernández von SouthBorder Distribution in Chile spricht von ähnlichen Zahlen. Für ihn sei Sofy.tv ein wichtiger Partner, aber die von ihm vertriebenen Kurzfilme schickt er auch an große Plattformen wie Amazon. Jedoch seien die Umsätze immer noch zu gering für ein tragfähiges Modell. »Manche Plattformen wachsen aufgrund der Pandemie«, so Hernández, »sie bekommen die Zuschauer, die sie eigentlich schon längst haben sollten.« Im Gegensatz zu den Umsätzen macht ihm die Zahl der Abrufe seiner Filme derzeit Freude. Für viele Filmemacher seien sie das Wichtige: Mit hohen Zuschauerzahlen könne man leichter öffentliche Fördermittel für zukünftige Projekte einsammeln.
Trotz der Erfolge ist die Zukunft der Onlinevermarktung ungewiss. »Ich mache mir Sorgen, dass die Plattformen, die uns durch die Krise geholfen haben, den großen Streaminganbietern zum Opfer fallen«, sagt Ignacio Hernández. Die Menschen könnten nicht auf Dauer so viele Streamingabos bezahlen, glaubt auch Sami Arpa. Bei Sofy.tv sehen sie die Zukunft eher in werbefinanzierten Modellen und Industriepartnerschaften, beispielsweise mit Herstellern von Fernsehern.
Der Kurzfilm soll sich öffnen, raus aus der Nische des Arthouse. Er soll sich als Alternative zu Serien etablieren, für die Pause, in der U-Bahn, immer dann, wenn für einen Langfilm keine Zeit ist. Das Kurzformat biete eine enorme Vielfalt, sagt Elliot Lardenois von der französischen Kurzfilmagentur. Er glaubt an einen nachhaltigen Effekt des Streaming-Booms: »Wenn man das einmal gekostet hat, ist es schwer, wieder davon wegzukommen.« Übrigens, die große Welle an Filmen über die Corona-Krise erwartet er wie viele andere auf den kommenden Festivals. Ob dann noch jemand eine Welt mit leeren Städten und maskierten Menschen sehen will, ist eine andere Geschichte.
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