Oberhausen: Kurzfilme, weltweit
»Shepherds« (2020)
Keine Festivalbesucher in den Straßen: Auch die traditionellen Oberhausener Kurzfilmtage fanden ausschließlich im Netz statt
Die Kurzfilmtage Oberhausen wurden wie andere Festivals von der Corona-bedingten Schließung ihrer Spielstätten überrascht. Vor allem der Hauptschauplatz, das schöne kleine Arthouse-Kinozentrum Lichtburg in der Innenstadt, musste den Betrieb für mehr als drei Monate einstellen.
Da die Programmauswahl bereits Anfang März beschlossen war, hatte das Team um Lars Henrik Gass bis zur Eröffnung Zeit genug, die bestehende Online-Präsenz der Kurzfilmtage auszubauen und die Wettbewerbsprogramme, Länderschauen und Künstlerretrospektiven in der vorgesehenen Festivalwoche vom 13. bis 18. Mai ins Netz zu verlagern. Es galt, neben technischen auch rechtliche Probleme zu lösen, damit man mit einem Festivalpass für 9,99 Euro auf rund 350 Filme zugreifen konnte, die in kuratierten Programmslots inklusive der vorproduzierten Videogespräche mit Filmemacherinnen und Filmemachern jeweils für 48 Stunden zugänglich waren. Erstmals war es auf diese Weise möglich, weltweit am Oberhausener Festivalformat zu partizipieren. 33 Schulklassen sahen Kinderfilm-Beiträge im Homeschooling, 250 Studierende und Pädagogen nahmen an Webinaren teil.
Geübten Besucherinnen und Besuchern fehlte der Zauber, den eine aufgekratzte Filmcommunity live in der abgewirtschafteten Oberhausener Fußgängerzone zu verbreiten vermag. Auch schließt die budgetbedingt immer mehr um sich greifende Beschränkung auf die – nicht immer eloquent beherrschte – englische Sprache bestimmte Zuschauergruppen zunehmend aus.
Mit mehr als 2500 in rund sechzig Länder verkauften Festivalpässen und einer steigenden Zahl von Fachbesucherinnen und Fachbesuchern nahm Festivalleiter Lars Henrik Gass das auferlegte Experiment jedoch als unerwarteten Erfolg und große Zukunftschance wahr. Es geht ihm darum, ein neues internationales Publikum für die Gattung Kurzfilm zu erreichen. Im Netz bietet Oberhausen längst Filme aus seinem auf über zweitausend Kopien angewachsenen Sammlungsbestand an. Neben dem nicht kommerziellen Verleih weitete das Festival seine Mittlerrolle durch ein neues Tool aus, mit dem Fachbesucher auch noch vier Wochen nach dem Festival sämtliche 6700 eingereichten Filme sichten konnten.
Oberhausen spiegelte auch in diesem Jahr die ungeheure Bandbreite an Themen, Stilformen und Gattungsexperimenten im internationalen Kurzfilm – eine Heterogenität, die es unmöglich macht, Trends zu definieren und oft den Eindruck von Beliebigkeit hinterlässt, aber immer wieder überraschend die immense Kreativität jenseits des Mainstreams unterstreicht.
Was bleibt sind poetische Bilder, oft ins Surreale und Absurde schwenkende Schilderungen der Gegenwart, ihren abseitigen und oft bedrohten und bedrohlichen Lebensräumen, den vergessenen Landschaften, Milieus und Menschen. Melancholische Töne überwogen im Programm, nicht so in »A Month of Single Frames«, einer hinreißenden Hommage an den Filmenthusiasmus der 2019 verstorbenen Experimentalfilmerin Barbara Hammer, für die die kalifornische Filmemacherin Lynne Sachs mit dem Großen Preis der Stadt Oberhausen ausgezeichnet wurde. Lynne Sachs verarbeitete 16 mm-Material, das Barbara Hammer 1998 auf Cape Cod gedreht hatte und der Kollegin kurz vor ihrem Tod übergab. Bei einem Aufenthalt in einer einsamen Strandhütte der Künstlerförderung von Provincetown hatte Barbara Hammer Sanddünen und Atlantikwellen, Wetter, Himmel und Tiere, alle kleinen Wunder rund um ihre simple Unterkunft aufgezeichnet. Lynne Sachs komponierte eine assoziative Annäherung an die lustvolle Naturerfahrung der Filmemacherin, die nur kurz persönlich im Film erscheint, aus dem Off jedoch von ihrem Glücksgefühl und mehr noch von ihrer Leidenschaft für das Licht beim Filmen dieser Daseinsmomente erzählt.
Anders die Naturerfahrung in Teboho Edkins Dokumentarfilm »Shepherds«, der den Preis des NRW-Ministeriums für Bildung und Kultur erhielt. Edkins' Film ist eine respektvolle Annäherung an junge Viehdiebe in einem stacheldrahtbewehrten Camp in Lesotho, die von der Bedeutung der Herden für ihr Leben erzählen und darüber sinnieren, wie sie nach der Haft wieder in ihrer Gemeinschaft Fuß fassen können.
Nicht vergessen werden darf Bela Brillowskas »Becky's Weightloss Palace«, eine Trash-Parodie auf die Welt eines magersüchtigen Teenagers, die den Preis der Jugendjury erhielt. Die talentierte 15-Jährige aus Hamburg, Spross und Gelegenheitsmitarbeiterin in den Experimentalfilmen ihrer Mutter Mariola Brillowska, spielt selbst das überdrehte Girlie, das seine Follower mit dreisten Tipps fürs Hungern nach Plan versorgt. Eine liebevoll-böse Comedy-Nummer gelingt ihr da, die bestimmt den Weg ins Schulkino nimmt.
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