Interview: Danny Boyle über seinen Film »Yesterday«
Danny Boyle © Universal Pictures
Mr. Boyle, Hand aufs Herz: Waren Sie als Jugendlicher Beatles- oder Stones-Fan?
Drehbuchautor Richard Curtis ist der totale Beatles-Fan. Er weiß alles über die Beatles. Für mich waren David Bowie und Led Zeppelin wichtiger; später bin ich ins Punklager gewechselt.
Wie konnten die Beatles eine solche kulturelle Signifikanz erreichen?
Am Schluss des Filmes zeigen wir ein Bild von vier kreischenden Mädchen, die den Beatles zujubeln. Was ich durch die Arbeit an diesem Film gelernt habe: Es waren diese kreischenden Mädchen, die den Lauf der Geschichte verändert haben. Sie wurden in den Medien als hysterisch und verrückt verunglimpft. Aber sie waren es, die dafür gesorgt haben, dass die Menschen mit dieser Musik konfrontiert wurden, die die Gesellschaft fürimmer verändert hat. Denn genau an diesem Punkt fing eine Entwicklung an, die dazu führte, dass junge Menschen sich nicht mehr vorschreiben ließen, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie haben sich geweigert, zur Armee zu gehen. Sie wollten nicht mehr die Jobs machen, die ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Sie strebten nach Glück, Liebe und Selbstverwirklichung. Und die Quelle all dieser umfassenden gesellschaftlichen Veränderung liegt in jenen kreischenden Mädchen.
Was kann Musik als Kunstform, was Film und Kino nicht können?
Ich muss gestehen, dass mir Musik wichtiger ist als Kino. Musik transformiert uns in einer Art, die wir selbst nicht unter Kontrolle haben. Wenn wir Meisterwerken wie Beethovens Neunte begegnen, ist das ein Gefühl, als hätte diese Musik schon immer zu uns gehört, als wäre sie in unserer DNA angelegt. Ich habe in all meinen Filmen Musik eingesetzt und ich glaube, dass meine Liebe zur Musik mich zu einem besseren Regisseur gemacht
hat. Musik beeinflusst nicht nur die jeweilige Szene, sondern die ganze Ästhetik eines Films. Es gibt eine Überbewertung des Visuellen in unserer Welt, die ich nicht teile. Ich weiß, das ist beleidigend für all die großartigen Kameramänner, mit denen ich gearbeitet habe. Aber als Regisseur fühle
ich ganz genau, was man mit Musik alles bewirken kann, ohne dass es die Zuschauer überhaupt merken.
Ist es vor dem Hintergrund nicht riskant, sich in einem Film auf die Musik einer einzigen Band zu verlassen?
Als wir die Auditions für die Besetzung machten, dachte ich noch, dass ein Film nur mit Beatles-Musik Gefahr läuft, langweilig zu werden. Aber dann kam Himesh Patel, und als er anfing zu singen, waren all meine Zweifel beseitigt. Er hat einen ganz eigenen Zugang zu den Songs gefunden.
Ist es nicht irrsinnig teuer, die Lizenzen für 15 Beatles-Songs zu erwerben?
Es ist teuer, aber da wir nicht die Originalsongs benutzen, sondern sie nachspielen, fallen die Gebühren ein wenig niedriger aus. Richtig teuer war »Hey Jude«, das wir am Schluss in voller Länge ausspielen. So ein Original-Master-Band von den Beatles wird nur selten und für viel Geld herausgegeben.
Im Gegensatz zu ihren früheren Filmen wie etwa »Slumdog Millionaire«, die eine hohe, visuelle Dynamik aufweisen, wirkt »Yesterday« eher
tiefenentspannt ...
Eine romantische Komödie muss unangestrengt aussehen, damit sich das Publikum in sie hineinfallen lassen kann. Richard Curtis
hat sein ganzes Leben damit verbracht, romantische Komödien wie »Notting Hill« oder »Tatsächlich Liebe« zu schreiben; vor seinem Werk muss man den Hut ziehen. Es ist sehr schwer, in diesem Genre den richtigen Ton zu treffen. Auch für einen Regisseur herrschen hier andere Regeln. Man
muss etwa eine Szene in wenigen, längeren Shots drehen, um den Schauspielern genug Raum zu geben, sich zu entfalten. Hier geht es nicht um Style und schnelle Schnitte, sondern darum, eine gewisse Grundgelassenheit herzustellen.
Ist die Musik der Beatles der ideale Nährboden für eine romantische Komödie?
Da ist eine enorme Lebensfreude in ihrer Musik, egal welchen Song man nimmt. Wie wichtig diese gemeinsame Lebensfreude trotz aller Streitigkeiten für die Beatles war, kann man in vielen Interviews nachlesen. Trotzdem steckt in den Songs stets auch eine gewisse, sehr britische Melancholie.
In Ihrem Film verschwindet nach einem globalen Stromausfall jegliche Erinnerung an die Beatles. Was würden Sie gern aus dem Gedächtnis der Menschheit für immer löschen?
Im Moment kann es auf diese Frage für mich nur eine Antwort geben. Wenn es etwas gibt, das die Mehrheit der Briten gern innerhalb von dreißig Sekunden ins Reich des Vergessens schicken würde, dann ist es der Brexit samt Nigel Farage und all den anderen Clowns, die für dieses politische Desaster verantwortlich sind.
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