Interview mit Christophe Honoré über seinen Film »Sorry Angel«
Christophe Honoré
Christophe Honoré begann seine Karriere als Journalist und Jugendbuchautor, bevor er sich Mitte der nuller Jahre auch als Filmregisseur (»Dans Paris«) einen Namen machte, wobei er sich immer wieder LGBTQ-Themen und -Protagonisten widmete, etwa in der Inzest-Geschichte »Meine Mutter« mit Isabelle Huppert und Louis Garrel, dem Musical »Chanson der Liebe« oder »Mann im Bad« mit Porno-Ikone François Sagat
Monsieur Honoré, Ihr neuer Film spielt in den 90er Jahren und zeigt einen jungen Mann, der wie Sie selbst damals aus Rennes nach Paris kommt. War es Ihre Absicht, persönliche Erfahrungen zu verarbeiten?
Einerseits ja. Ich wollte einen Film über die Zeit meiner Jugend drehen. Mindestens genauso wichtig war mir aber noch etwas anderes. Die Welle der Homophobie, die Frankreich in den letzten Jahren erfasst hat, hat mich sehr schockiert, die Tausende von wütenden Menschen, die gegen die Ehe für alle auf die Straße gingen. Daran gab ich mir als schwulem Künstler eine Mitschuld, schließlich ist es meine Aufgabe, dagegenzuhalten und die Menschen mindestens zum Nachdenken anzuregen und ihnen neue Welten zu eröffnen.
Der jüngere der Hauptdarsteller, Vincent Lacoste, ist 1993 geboren. Wie haben Sie Ihm vermittelt, was Ihnen diese Zeit bedeutet?
Es ist natürlich nicht leicht, jemanden eine Ära spüren zu lassen, die er selbst nicht erlebt hat. Ich suche immer nach Wegen, non-verbal zu kommunizieren. Ich gab ihm den Roman »Die Schönheitslinie« von Alan Hollinghurst. Er hat nur die ersten drei Kapitel gelesen, weil er – wie alle französischen Schauspieler – unglaublich faul ist. Aber immerhin bekam er einen Eindruck. Außerdem empfahl ich den Film »My Own Private Idaho« von Gus van Sant. Es ging mir weniger um konkrete Erfahrungen als um ein bestimmtes Lebensgefühl.
Wie autobiografisch also ist »Sorry Angel«?
Natürlich habe ich versucht, meine Erinnerungen an diese Zeit und diese Orte so wahrhaftig wie möglich umzusetzen. In gewisser Weise habe ich diese Erinnerungen noch einmal durchlebt und damit meine Schulden bezahlt, um das mal so auszudrücken. Ich träumte damals davon, Regisseur zu werden, ohne dass ich auch nur irgendeinen Bezug zur Filmindustrie hatte. Jede Woche verliebte ich mich in neue Künstler. Mal war es Derek Jarman, mal Robert Mapplethorpe oder Hervé Guibert. Und immer wieder erfuhr ich wenige Monate später, dass diese Männer, deren Kunst mich so berührte und inspirierte, an Aids gestorben waren. Was hätte ich dafür gegeben, von ihnen in ihrer Mitte begrüßt zu werden. Deswegen ist dieser Film nun meine Ehrerweisung an diese viel zu früh verstorbenen schwulen Künstler – und mein Denkmal für ihre Abwesenheit und meine künstlerische Trauer um sie.
Sie bemühen sich im Film sichtlich darum, keinen Penis zu zeigen. In einer Geschichte, in der es so dezidiert um schwulen Sex geht, erscheint das ungewöhnlich.
Zunächst einmal habe ich vor allem die Schauspieler gefragt: Wozu seid ihr bereit, was darf ich zeigen? Ich bin wirklich mit den Schauspielern die einzelnen Körperpartien durchgegangen. Für Pierre war klar, dass er nicht seinen Schwanz im Bild haben will. Vincent war vollkommen überrascht von meinen Fragen. Warum willst Du meinen nackten Rücken filmen, daran ist doch nichts erotisch, fragte er zum Beispiel. Denis Podalydès wollte gar nichts zeigen, also trägt er im Bett eine Unterhose. All diese Absprachen waren mir wichtig und ich habe mich immer daran gehalten.
Gleichzeitig gehört Nacktheit aber doch dazu, wenn man vom Begehren erzählt?
Sicherlich, deswegen ist sie ja auch in »Sorry Angel« präsent. Die Sinnlichkeit männlicher Körper beschränkt sich aber nicht auf Penisse. Ich stimme Ihnen aber zu: Gerade in schwulen Geschichten finde ich den Umgang mit Sex und Nacktheit oft scheinheilig. Wenn man zwei Kerle sieht, die zusammen ins Bett steigen und dann filmt die Kamera verschämt das Schlafzimmerfenster – das ist doch ätzend! Denn das ist ein Zeichen der moralischen Verlogenheit des Regisseurs.
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