Berlinale: Sehnsucht nach Fargo
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Vielfältig wie eh und je: die US-Independents im Berlinale-Programm
Die Coen-Brüder waren diesmal nicht mit einem eigenen Film vertreten, aber als Helden des unabhängigen US-Kinos, denen inzwischen ehrfürchtig Tribut gezollt wird, waren sie gleich doppelt präsent. Zum einen im Wettbewerb, wo der norwegische Beitrag Kraftidioten mit süffisantem Bodycount und blutgesprenkeltem Schnee an Fargo erinnerte. Und zum anderen im Forum, wo die Zellner-Brüder Kumiko, The Treasure Hunter komplett um die Erinnerung an Fargo kreisen ließen. Die junge japanische Heldin des Films, zu dessen Produktionsriege mit Alexander Payne eine andere Indie-Ikone zählt, hält die Coen’sche Entführungsgroteske für eine true story und bricht nach Minnesota auf, um Steve Buscemis Koffer voller Geld zu finden. Die Einfältigkeit der Protagonistin mag stellenweise unglaubwürdig wirken, als Brückenschlag zwischen Asien und den USA, zwischen Realität und (Kino-)Traum aber funktioniert die lakonische Dramedy durchaus.
Lässt das Berlinale-Programm Rückschlüsse auf den Status quo der aktuellen Indie-Produktion zu? Vermutlich nur bedingt, da die Amerikaner in Berlin nur selten im Fokus stehen. Immerhin kann man konstatieren, dass es den unabhängigen Regisseuren weder an Ideen noch an Kreativität mangelt und dass sie jenseits des Mainstreams eine wunderbare thematische Vielfalt abbilden. Wie in Kumiko kommt auch in Things People Do ein Cop der Hauptfigur zu Hilfe. In Things ist es Jason Isaacs, der sich als chronisch alkoholisierter Cop mit einem Familienvater (Wes Bentley) anfreundet, der aus Verzweiflung über seinen Jobverlust die Läden einer Trabantenstadt im Südwesten ausraubt. Die Filme könnten nicht weiter voneinander entfernt sein – hier eskapistische Fantasie, dort trister Reflex auf die Wirtschaftskrise. Sie sind sich aber einig, dass die Gefahr nicht von den Ordnungshütern, sondern von den Bossen hinter den Schreibtischen ausgeht. Wes Bentley gehört auch zum Ensemble von The Better Angels, einer Meditation über die jungen Jahre Abraham Lincolns. In grandiosen Schwarz-Weiß-Kompositionen schildert Debütant A. J. Edwards die Lebensbedingungen der frühen Siedler, die in den Wäldern von Indiana eine neue Zivilisation errichten. Auch hier gibt einer der Produzenten die Richtung vor: Wie Terrence Malick wählt Edwards einen Stil zwischen Realismus und Poesie, spröde und schön, wortkarg, aber beredt.
Wild, mutig und geradezu ungestüm ist dagegen das Kino von Josephine Decker, die im Forum mit einem »Doppel-Decker« vertreten war. Butter on the Latch und Thou Wast Mild and Lovely versuchen, nicht mehr und nicht weniger als eine neue Bildsprache zu entwickeln – ein raffiniertes, manchmal auch enervierendes Spiel zwischen Zeigen und Nicht-Zeigen, zwischen Andeutung, Tiefstapelei und verblüffenden Schocks. Beide spielen in der ländlichen Provinz und beginnen mit großer Beiläufigkeit. Junge Frauen stehen im Zentrum, aber auch dirty old men, die zu erstaunlichen Methoden greifen. Ehe wir uns versehen, explodieren diese so kontemplativ beginnenden Filme und beweisen, zu welch überraschenden Twists die amerikanischen Indies immer noch fähig sind.
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