Gegen den Strich
Als »Trojanische Pferde« hat Dominik Graf seine TV-Filme bezeichnet. Damit meinte er, dass seine Melodramen und Polizeifilme, die meist zur besten Sendezeit laufen, sich äußerlich an die im deutschen Fernsehen übliche Form anpassen, aber Dinge enthalten, die diese erweitern, unterwandern, aufbrechen. Kameraperspektiven, Zooms, Dialoge, Figurenkonstellationen, Schnitte, die den Rahmen sprengen, neue Räume öffnen, Abgründe auftun.
Dinge, die Kino sind. Die Geschichte dieses Kinos, von dem Graf in seinen Filmen träumt, lässt sich nun ein Stück weit im Buch »Schläft ein Lied in allen
Dingen« nachlesen, das eine Auswahl von Grafs Texten versammelt. Die meisten von ihnen sind für Tageszeitungen entstandene DVD-Kritiken, für die sich Graf aus der Filmgeschichte das herausgesucht hat, was ihn selbst begeistert und geprägt hat. In ihnen, so Michael Althen im Vorwort, »hat er sich einen Horizont erschrieben, vor dem er seine eigenen Arbeiten verstanden wissen will«.
Alle Regisseure haben Vorbilder, selten aber können sie über diese so gut schreiben wie Dominik Graf – und so leidenschaftlich. Ob Fassbinder, Mike Figgis’ Echtzeit-Experiment Timecode oder frühe Filme von Andrzej Wajda, immer bekommt man als Leser sofort Lust, die emphatisch und mit praktischem Insiderwissen beschriebenen Werke zu sehen.
Das gilt vor allem für die von der Kinogeschichte übergangenen Filme, die Graf gegen Kanon und guten Geschmack verteidigt. Ein ichtiger Begriff ist ihm dabei
das »Unsaubere«, das nicht in eine einheitliche Form Gebrachte, das Kino der Brüche und Geschmacklosigkeiten. Graf findet es in den Montage-Exzessen von Nicolas Roeg, den unmotivierten Gewaltszenen eines Lucio Fulci, in der Präzision und dem emotionalen Reichtum Max Ophüls’ oder der Ökonomie und Härte von Robert Aldrich.
Mit Tollkühne Flieger und Die Libelle von George Roy Hill und Die heisse Spur von Arthur Penn feiert Graf die Werke zweier weiterer Regisseure, die wie Aldrich New Hollywood den Weg bereiteten, deren Filme aber fast vergessen sind. Das waren Filmemacher alter Schule, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hatten, meistens beim Fernsehen, und die aus dem System heraus begannen, mit neuen Erzählformen zu experimentieren. Damit wurden sie zu großen Vorbildern für Graf und seine Suche nach dem Experimentierwillen und dem Mut, als herausragender Handwerker auch einmal gewollt unsauber zu arbeiten.
Grafs Buch ist zugleich eine äußerst anregende DVD-Kaufhilfe und eine schöne Vorstudie zu einer Geschichte des unsauberen Kinos. Ein bisschen zu oft und zu gleichlautend wird vielleicht am Ende der Texte auf die Eintönigkeit des zeitgenössischen Kinos, vor allem des deutschen, geschimpft. Aber erstens hat Graf natürlich ganz Recht, wenn er immer wieder das völlige Fehlen eines schmutzigen und zugleich intelligenten Genrekinos in Deutschland beklagt. Zum anderen sollte man die Texte des Buches vielleicht sowieso nicht hintereinanderweg lesen, sondern häppchenweise.
Volker
Hummel
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