Der Rote Kakadu
Seit dem für deutsche Verhältnisse experimentellen Felsen, also seit drei Jahren, hat Dominik Graf ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet. Jetzt kommt ein neuer Spielfilm von ihm ins Kino. Und das Warten hat sich gelohnt.
Es liegt ein Schimmer über diesem Film, ein warmer Glanz, der nicht mit Nostalgie zu verwechseln ist, eine flirrende Frische, voller Hoffnung und Glück: Es ist der Sommer des Jahres 1961, die letzten Wochen, bevor diese Hoffnungen unter dem Mauerbeton begraben werden. Der junge Siggi kommt vom Land nach Dresden, um dort wie einst Michael Klier, der das Drehbuch geschrieben hat, Theatermaler zu werden. Siggis Staunen über das aufregende Leben in der Stadt, die Erregung des jugendlichen Aufbruchs und das Wunder der ersten Liebe färben den ganzen Film, der sich sozusagen in den Augen des Darstellers Max Riemelt spiegelt, der schon in Napola mit einer Mischung aus Naivität und Esprit gegen die Repressionen eines totalitären Staates rebelliert hat.
Im Park gerät Siggi in eine Gruppe Jugendlicher, die zu imaginärer Musik tanzen. Ihm fällt ein Mädchen am Rande auf; es ist Liebe auf den ersten Blick für Luise, die ihre Gedanken und Gefühle in Gedichte fließen lässt. Die gelten als staatszersetzend, wie die Musik der Beatles: Die Kids warten auf die echte Musik, doch als sie kommt, währt das Glück nur kurz, weil die Volkspolizei den Park stürmt, die kostbaren Rock'n'Roll-Platten zerstört und den auseinander stiebenden Kids nachjagt. Dieser harte Wechsel aus Hoffnung und Enttäuschung gibt den Rhythmus vor, in den Jahren, in denen in der jungen DDR noch alles möglich scheint. Keine Frage, dieser Film wäre ein ganz anderer geworden, hätte Michael Klier sein Drehbuch selbst verfilmt. Für Klier geht es um schmerzlich gelebte Erfahrungen, für Dominik Graf dagegen um Hoffnungen und Utopien: "Wir waren mit diesem Film auf der Suche nach einer Vitalität, die ich in dieser Weise aus unseren sechziger Jahren nicht kenne", sagt Graf. "Das ist natürlich auch meine Sehnsucht als Westler, der im Osten etwas sucht oder auch hineinprojiziert, was ich in meiner Kindheit im Westen nicht hatte. Es lässt sich nicht vermeiden, dass das letzten Endes ein Wunschbild DDR ist, das zu meinem Sehnsuchtsbild von Deutschland wird, wenn es mal eine Chance gehabt hätte, ein anderes Land zu sein."
Ein wenig erinnert Der rote Kakadu so auch an Good Bye, Lenin!, in dem mit Wolfgang Becker ein weiterer westdeutscher Regisseur das Leben der DDR auf
andere Weise ostalgiefrei als verspielte Utopie zelebrierte, und in der Tat bezeichnet Graf seinen Film als ein Art Prequel. Doch mag er auch mit dem Herzen
eines Westlers erzählen, so baut er doch auf die Seele des Ostens, denn mit Ausnahme von Jessica Schwarz, die Luise mit funkelndem Charme spielt, haben fast alle Schauspieler einen DDR-Stammbaum: "Obwohl sie zum größten Teil damals noch nicht mal geboren waren, macht es einen großen Unterschied, wenn jemand zehn Jahre seines Lebens dort aufgewachsen ist. Sie verstehen sozusagen genetisch etwas von der DDR und haben durch ihre Eltern noch ganz viel mitgekriegt."
So wie die Republik Ost erfährt auch Siggi schnell den ersten Rückschlag, denn auf der Flucht vor den Polizisten im Park gesellt sich ein großer, starker Junge zu ihnen, der die verletzte Luise schultert. Es stellt sich heraus, dass Wolle (Ronald Zehrfeld, der hier sein eindrucksvolles Kinodebüt gibt) ihr Ehemann ist. So beginnt eine Ménage à trois, mit der in diesen Film ein Hauch von Nouvelle Vague einzieht, eine zärtliche Erinnerung an Truffauts Jules und Jim, die 1962 durch die Kinos fegen sollten. Wolle nimmt das Leben und die Liebe leicht, fast wohlwollend beobachtet er Siggis Interesse an seiner Frau, während er selbst hier und da kleine Affären unterhält - noch ist die Lebensfreude stärker als die Eifersucht, und all die lähmenden Gedanken, von denen man bald eine Ahnung bekommt. Das Zentrum des Lebens ist die legendäre Dresdner Tanzbar "Der Rote Kakadu", in dem die Dresdner Boheme unter dem scharfen Blick der
Staatssicherheit noch einige Freiheiten hat. Beim ersten Besuch wird Siggi abgewiesen, beim Schmuggeltrip nach Berlin, wo er wie einst Michael Kliers Held
in Überall ist es besser, wo wir nicht sind Meissner Porzellan verkauft, ersteht er einen schicken Anzug und leuchtend gelbe Schuhe, die ihn salonfähig machen. Während die authentische DDR von 1961 in der ganzen Republik zusammengestückelt werden musste, konnte tatsächlich in den erhaltenen Räumen des Roten Kakadu gedreht werden. Zum ersten Mal erzählt Dominik Graf eine deutsche Geschichte im Kostüm einer anderen Zeit.
Die große Frage, die in diesen Wochen und Monaten des Jahres 1961 in der Luft liegt, ist die, ob man "wegmacht" oder dableibt. Siggi zieht es weg, doch Luise möchte bleiben und die Chancen für ein anderes, besseres Deutschland ergreifen, auch dann noch, als der Druck immer größer wird: Wolle wird
festgenommen und verhört. Als Siggi Luises Gedichte drucken lässt, um ihr eine Freude zu machen, sieht sie vor allem die Gefahr, die das bedeutet. Und die
Staatssicherheit sät Misstrauen und Angst unter den Freunden. Als auch Siggi die Festnahme droht, flieht er in letzter Sekunde. Luise will folgen, doch dann
wird über Nacht die Mauer gebaut ...
Anke Sterneborg
Ohne Nostalgie, aber auch ohne moralinsaures Überlegenheitsgetue wirft Dominik Graf einen frischen Blick auf die DDR des Jahres 1961, kurz vor dem Mauerbau. In einer ebenso zauberhaften wie wirklichkeitsnahen Ménage à trois geht es um die Utopien des Lebens und der Liebe - bevor sie vom Mauerbeton erstickt werden.
Deutschland 2006. R: Dominik Graf. B: Michael Klier, Karin Åström. P: Manuela Stehr. K: Benedict Neuenfels. Sch: Christel Suckow. M: Dieter Schleip. T: Rainer
Haase. A: Claus Jürgen Pfeiffer. Ko: Barbara Grupp. Pg: X Filme Creative Pool/ Seven Pictures/SAT.1/German Filmproductions. V: X Verleih. L: 128 Min. Da: Max
Riemelt (Siggi), Jessica Schwarz (Luise), Ronald Zehrfeld (Wolle), Ingeborg Westphal (Tante Hedy), Devid Striesow (Hurwitz), Kathrin Angerer (Frau Männchen), Tanja Schleiff (Rena).
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