Herz der Finsternis
Die Reise ist wohl immer die filmischste aller möglichen Erzählbewegungen. Bei Apocalypse Now ist es die faszinierende Reise flussaufwärts auf einem Boot, direkt ins "Herz der Finsternis". Der Captain der US-Armee Willard (Martin Sheen) bekommt den allerhöchsten Auftrag, einen außer Kontrolle geratenen
Colonel namens Kurtz (Marlon Brando), der irgendwo im Dschungel des Vietnamkriegs einen sektenhaften Todeskult errichtet hat, einzufangen und dessen
amerikanisches Irrenhaus in der Wildnis schnellstmöglich zu schließen. Solange Martin Sheen mit seinen zwei Gefährten den Fluss hinunterfährt, seiner
entscheidenden ersten Begegnung mit Kurtz entgegen, ist Apocalypse Now einer der besten Filme, die das Weltkino hervorgebracht hat. Sheen begegnet unter anderm einem General, der während eines verbrecherischen Napalmangriffs auf ein vietnamesisches Dorf am Oberlauf des Flusses seine besten Surfer in die Wellen schickt: "Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen!" schreit der verrückte Militär mit dem Stetson (Robert Duvall) seinen Hubschraubern entgegen. Sheen trifft auf drogenberauschte Soldaten, die die letzte Brücke des Flusses gegen einen unsichtbaren Feind sinnlos verteidigen, und er nimmt an einer gigantischen GI- Party teil, zu der Penthouse-Girls in den Dschungel eingeflogen wurden.
130 Minuten lang ist Apocalypse Now eine fantastische Fieberfantasie des militaristischen Wahnsinns, der die Amerikaner vom Zweiten Weltkrieg bis heute
fehlgeleitet hat. In der 2002 von Coppola veröffentlichten neuen Schnittfassung "Redux" gibt es sogar noch zwei spektakuläre Reise-Episoden mehr zu sehen. Doch ab dem Moment, in dem Willard auf den berüchtigten Kurtz in seinem Dschungelcamp trifft, schleppt sich der Film seinem Ende entgegen. In Joseph
Conrads Novelle "Das Herz der Finsternis", die Apocalypse Now zu Grunde liegt, findet der Seemann Marlow einen bereits todkranken Kurtz, der im Zentrum des Kongo in einen rabenschwarzen Spiegel der westlichen Zivilisation und seiner eigenen Seele gesehen hat. In Coppolas Film verlieren sich dagegen Brandos Ambitionen in existenzialistischem Gefasel, ein bisschen so, als imitiere er Klaus Kinski im Halbdunkel einer New Yorker Studiobühne. Apocalypse Now begeistert mit einem perfekten und grandiosen ersten Teil und zerläuft dann ein wenig in eine Urwald-Coda, die ein freudianisches Mythenspiel zu zelebrieren versucht.
Francis Ford Coppola, der Eisenbieger! Der große Zampano, der das Unmögliche erzwingen wollte. Der die Gegenpole Kunst und Kommerz vor unser aller Augen in Hollywood zusammenzupressen versuchte. Bei Apocalypse Now hatte er die Idee, die Conradsche Geschichte von Afrika nach Indochina zu verlegen, mitten hinein in den Vietnamkrieg, von seinem Freund John Milius (Conan, der Barbar) übernommen. Beim Drehen war er dann aber vielleicht ab und an ein wenig zu sehr der Inspiration von Werner Herzogs Aguirre erlegen. Wie auch immer: was Coppola aus Conrads spätkolonialistischer Albtraumnovelle machte, das bleibt einem in Erinnerung wie ein Jimi-Hendrix-Gitarren-Solo. Der Film ist eine psychedelische Symphonie, und er ist auch eine wirklich knallharte Beschreibung dieses für eine ganze amerikanische Generation so zutiefst verheerenden Kriegs.
Dominik Graf
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