Kritik zu Wir töten Stella

© Real Fiction Filmverleih

2017
Original-Titel: 
Wir töten Stella
Filmstart in Deutschland: 
18.01.2018
L: 
98 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Julian Pölsler verfilmt nach »Die Wand« erneut einen Roman der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer. Eine Ehefrau hadert mit der Schuld, für den Selbstmord einer von ihrem Gatten verführten Frau mitverantwortlich zu sein

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Ein Krachen. Ein Buchstabe. Donnernd geht der Typenhebel der mechanischen Schreibmaschine auf dem Papier nieder: W. Dann ein I, ein R und so fort. Am Ende steht da: »Wir töten Stella«, und jeder Buchstabe war ein knallender Schlag, so als würden die Türen eines Gefängnisses zugeworfen, endgültig. Die sich da einsperrt ist eine gut situierte Hausfrau und Mutter; sie nutzt das Wochenende ohne Mann und Kinder, um Zeugnis abzulegen von ihrem Verbrechen des Wegschauens und Gewährenlassens. Denn weil die Frau passiv blieb und sich nicht wehrte, ist Stella nun tot. Auch wenn der Mann der Frau erklärt: »Es war ein Unfall, ganz eindeutig ein Unfall.« Doch was weiß der schon, er ist schließlich der Täter, einer dieser altmodischen Patriarchen, die jenseits von »Besitz« keinen Begriff für eine Frau haben. Stella fiel dem Mann quasi in den Schoß, ein junges hübsches Ding, von einer Freundin der Frau für ein paar Monate in der Villa am Stadtrand einquartiert. Die Frau sieht das Verhängnis kommen und rührt keinen Finger; der Mann verführt das Mädchen und lässt es fallen; Stella findet keinen Ausweg mehr.

Diese einfache Geschichte gibt es in vielen Variationen. Die vorliegende wurde von der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer (1920–70) erdacht und 1958 unter dem Titel »Wir töten Stella« als Novelle veröffentlicht. Auf knappen 70 Seiten schildert die Ich-Erzählerin darin nüchtern und distanziert, was geschehen ist – allerdings weniger in Gestalt äußerer Ereignisse als vielmehr in Form inneren Erlebens. Indem er nur wenige Bilder vorgibt, widersetzt sich Haushofers Text der Verfilmung; man muss sich also schon etwas einfallen lassen, um dem Strom der Gedanken und Gefühle, der in ihm fließt und zudem ein recht hohes Reflexionsniveau aufweist, gerecht zu werden.

Beispielsweise indem man die Gedanken und Gefühle der Frau sich im Gesicht Martina Gedecks widerspiegeln lässt, einem Gesicht, dem man stundenlang beim Denken und Fühlen zuschauen kann. Mit Gedeck, die tiefe Empfindsamkeit zugleich mit erbarmungsloser Kälte zu projizieren vermag, hat Julian Pölsler die ideale Verkörperung der Haushofer'schen Frau gefunden. Vor fünf Jahren bereits ließ sich dies am Beispiel seiner kongenialen Adaption von »Die Wand« feststellen, jenem 1963 erschienenen dystopischen Roman, der als das berühmteste Werk der Autorin gilt.

Wie in »Die Wand« liegt auch in »Wir töten Stella« der Schwerpunkt auf dem Ausdruck des Gesichts, der von einer Offstimme, die den literarischen Text rezitiert, begleitet wird. Und während in ihrem Gesicht die Erinnerungen sich malen, die sodann filmisch als Rückblenden gestaltet werden, bietet Gedecks Stimme aus dem Off das Sezierbesteck der Interpretation an. Und ein schreiendes Schweigen breitet sich zwischen den Figuren aus, und Blut fließt, das unsichtbar bleibt. Ungerührt schaut der Mann – unter dessen oberflächlicher Harmlosigkeit Matthias Brandt einen grausamen Teufel gut sichtbar verbirgt – aus seiner Zeitung auf. Er ist der Herr über diese Ehehölle – die seine Frau gerade entlarvt.

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