Kritik zu Unter der Haut
Es ist ein Kolportagestoff: die Geschichte von der Frau, die merkt, dass ihr Mann schwul ist. Aber Claudia Lorenz hat daraus einen umsichtigen Film über Wandel und Verwandlung gemacht, mit einer großartigen Ursina Lardi in der Hauptrolle
Alice und Frank sind seit 18 Jahren verheiratet, wie wir später erfahren werden. Mit ihren drei Kindern ziehen sie in ein neues Haus am Zürichsee. Zu Beginn des Films erforscht die Kamera die leeren Räume, die die Familie bewohnen wird, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, das Bad. Es ist so etwas wie die Vermessung der Welt der Figuren, die Präsentation der Bühne dieses stillen Dramas.
Denn zuerst einmal zeigt die Schweizerin Claudia Lorenz in ihrem Spielfilmdebüt nichts anderes als Alltäglichkeiten, in die sich dann doch eine gewisse Irritation einschleicht. Einmal rastet der Vater Frank (Dominique Jann) während eines Kindergeburtstags aus, schreit, dass er keinen Raum mehr habe. Später findet Alice (Ursina Lardi) Links zu schwulen Dating-Seiten auf dem Familiencomputer, fragt zuerst ihren ältesten Sohn. Denn es fällt ihr schwer zu realisieren, dass ihr Mann auf dem Weg in ein neues Leben ist. Sie kämpft um ihre Ehe und ihre Liebe, versucht gewissermaßen einen Neustart. Sie geht wieder mit ihm aus, will nicht wahrhaben, dass ihr Kampf aussichtslos ist, fängt an zu trinken. Es gibt auch sehr hässliche Szenen, und man merkt, dass sie das Gefühl hat, dass ihre Idee und ihre Familie eine große Lüge waren, dass sich auch die Vergangenheit vor den Ereignissen der Gegenwart relativiert. Was natürlich Unsinn ist, aber nachvollziehbar. Niemand kann etwas für seine Gefühle.
Lorenz hat ihren Film ohne jede Schuldzuweisung in Szene gesetzt, wie die Dokumentation einer Krise, an deren Ende das Leben wieder weitergeht. Der großartigen Schweizer Schauspielerin Ursina Lardi (die vor kurzem in einem anderen Schweizer Film, »Traumland«, auch von ihrem Mann betrogen wurde) gelingt es, die ganzen Facetten dieser Frau, der das Leben wegbricht, darzustellen, Hoffnung und Resignation, Leidenschaft und Zusammenbruch, Verletzung und Trauer, aber auch ihre Ungerechtigkeit. Für Alice bedeutet Franks Coming-out natürlich auch eine emotionale Kränkung, die auch ihre Identität angreift, besonders wenn er ihre sexuellen Avancen zurückweist.
Lorenz und ihr Drehbuchautor Rolando Colla exerzieren das späte schwule Coming-out durch, wenn auch der Fokus auf Alice und nicht auf Frank liegt. Aber man merkt, dass ihm auch an der Familie liegt, an den Kindern, die sich natürlich auch erst mal gegen ihn wenden. Aber Familie und seine neue Liebe, ein bärtiger älterer Herr, lassen sich auf lange Sicht nicht unter einen Hut bringen. Frank zieht aus, und wir Zuschauer merken: Es geht nicht anders.
Doch auch Alice wird sich, nachdem sie die Kränkung überwunden hat, neu orientieren. Sie streicht die Wohnung neu, verändert ihre Frisur. Die Familie als Lebensperspektive ist zerbrochen, und Alice hat sich neu finden müssen. Ein Jahr Lebenszeit mit all ihren Schmerzen und Erschütterungen erzählt dieser Film, der nie ins Melodramatische abgleitet.
Kommentare
Der film
Ich finde es gut das sowas gedreht und ausgestahlt wird .Vieleicht gibt es mehr Männer denen es auch so geht und können mit der Situation besser umgehen lg michael .k
An der bisexuellen Realität vorbei
Als bisexueller Mann habe ich Filme dieser Art ziemlich satt. Sie täuschen vor, es gäbe nur entweder-oder, und helfen mit, dass mutige Lebensentwürfe bisexueller Menschen komplett unsichtbar bleiben. Unrealistisch, gekünstelt und pseudodramatisch, komplett an der Realität vorbei, um ein wenig Gefühlsduselei zu betreiben. «Spätes Coming-Out als Schwuler», in den 90er-Jahren ging so etwas vielleicht noch, aber bitte aufhören mit solchen Drehbüchern!
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