Kritik zu Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt
Einer seiner Lieblinge war der Universalgelehrte Athanasius Kircher, vom Internet hielt er nicht so viel: eine anregende Annäherung an das Denken von Umberto Eco
Ein Mann geht durch seine Bibliothek, und das wirkt, von einem mit raumhohen Regalen angefüllten Raum und Flur in den nächsten, wie ein Spaziergang durch einen schier endlosen Kaninchenbau. Doch anders als seine literarischen Schöpfungen William von Baskerville und Adson im Bibliothekslabyrinth im Roman »Der Name der Rose« verirrt sich Umberto Eco nicht. Er weiß genau, wo welches seiner geschätzt 30 000 zeitgenössischen und 1500 antiken Bücher zu finden ist. Vorliegender Dokumentarfilm ist eine suggestive Zusammenstellung aus einer Videoinstallation für die Biennale 2015, in der Eco jenen Spaziergang durch seine Hausbibliothek unternahm, aus Interviews, Redeausschnitten, szenisch dargestellten Zitaten aus Ecos Werk und Streiflichtern auf die Schätze dieser Bibliothek, zu der Regisseur Ferrario von der Familie des 2016 verstorbenen Gelehrten Zugang gewährt wurde.
Den Anlass für den Film bot die bevorstehende Schenkung der Privatbibliothek an Institutionen in Mailand und Turin. Die Ansichten dieser prächtigen alten Bücherburgen wie auch lichtdurchfluteter neuer Bibliotheken fließen ebenso in den Film ein wie die Erzählungen der Familie. Dieses inszenatorische Mäandern verdichtet sich zwanglos zu einer Bestandsaufnahme, oder besser Annäherung, an Umberto Ecos windungsreiches Um-die-Ecke-Denken.
»Die Bibliothek ist Symbol und Realität eines kollektiven Gedächtnisses«, so lautete einer seiner markanten Sätze, und »das Gedächtnis ist die Seele.« Ecos Seele indes hatte er zuvor bereits in seinen eigenen Werken, in denen er, als Bibliophiler, am liebsten von anderen Büchern erzählte, offenbart. Der Linguist und Semiotikprofessor interessierte sich besonders für die Ränder der Wissenschaft, die begnadeten Fantasten. Alte Stiche auf steifem Pergament mit wundersamen Tieren bezeugen etwa die Bandbreite menschlicher Einfallskraft beim Erfinden von Geschichten und Kreaturen. Denn der Mensch »ist ein Tier, das dazu fähig ist, sich mitzuteilen, sogar Abwesendes und Unwirkliches«. Zu Ecos Lieblingen gehörte der barocke Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher, der aus den Studien anderer Gelehrter eigene Theoriegebilde zusammenfabulierte, gerne ins Okkulte ausholend, gelegentlich der Wahrheit nahekommend. Ecos literarische Lieblingsepoche aber war das 19. Jahrhundert mit seinen Feuilletonromanen von Balzac oder Dumas. Eco war selbst ein begnadeter Erzähler, ein öffentlicher Intellektueller, der zu allem eine Meinung hatte. So sagte er etwa einem gackernden amerikanischen Publikum zum Thema Smartphones: »Ich bin alt genug, um es abstellen zu dürfen, und nutze es als Notizbuch.« Der ungefilterten Informationsflut des Internets stand er kritisch gegenüber, das Aufkommen von Verschwörungstheorien erklärte er mit Philosoph G. K. Chesterton: »Wenn die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht mehr an nichts, sondern an alles.« Eine appetitanregende Hommage an einen Mann und sein Werk, über das längst noch nicht alles gesagt ist.
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