Kritik zu Reinas – Die Königinnen

© Arsenal Filmverleih

Klaudia Reynickes leiser, umsichtiger Film über das Heranwachsen hat bereits eine schöne Festivalkarriere hinter sich: in Sundance uraufgeführt, wurde er auf der Berlinale ausgezeichnet und geht nun für die Schweiz ins Rennen um den Auslands­oscar

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Carlos (Gonzalo Molina) müsste seine Töchter noch nicht »Königinnen« nennen; »Prinzessinnen« wäre ihrem Alter angemessener. Aber Bescheidenheit liegt ihm nicht, er denkt großspuriger und stapelt gern hoch. Er ist ein heilloser, keineswegs unbegabter Aufschneider. Mal gibt der Taxifahrer sich als Schauspieler aus, mal als Krokodiljäger – und später gar als Geheimagent im Auftrag der Regierung.

Seine Ex-Frau Elena (Jimena Lindo) durchschaut seine Lügengespinste natürlich; sie waren ohne Zweifel der Grund, weshalb sie sich von dem Tunichtgut scheiden ließ. Aber verfängt seine Prahlerei eventuell noch bei ihren gemeinsamen Kindern? Lucia (Abril Gjurinovic), die Jüngere, ist ungemein wissbegierig und stellt Carlos’ Geschichten auf den Prüfstand. Aurora (Luana Vega) wiederum ist um entscheidende Jahre älter, aber mitnichten abgeklärt. Als der Vater nach langer Abwesenheit nun wieder auftaucht, begegnen die Töchter ihm zunächst mit schroffer Ablehnung. 

Die Familie befindet sich an einem Scheideweg. Elena will Peru verlassen, in Minnesota wartet eine Arbeitsstelle auf sie. Das scheint nur vernünftig, denn Anfang der 1990er Jahre, als die Inflation galoppiert und der »Leuchtende Pfad« die Bevölkerung mit Attentaten und Sabotageakten terrorisiert, ist das Land nicht mehr sicher.

Dieses gesellschaftliche Klima ist mehr als nur eine atmosphärische Grundierung für Klaudia Reynickes Film. Es bedingt unentrinnbar den Alltag. Demonstrationen und Stromausfälle sind an der Tagesordnung, die nächtlichen Ausgangssperren werden rigide durchgesetzt, und als bei einer Feier eine Weinflasche krachend herunterstürzt, erschrecken die Gäste allesamt. 

Seine Spannung schöpft Reinas jedoch aus einem vielschichtigen Blick auf die familiären Konflikte. Die Eltern verkörpern gegensätzliche Prinzipien. Elena ist als Angestellte eines Reisebüros schon von Berufs wegen ein Mensch, der verantwortungsvoll plant. Carlos hingegen ergreift Gelegenheiten, wann immer sie sich bieten. Angesichts der bevorstehenden Ausreise herrscht nun für alle vier ein je eigenes Zeitmaß. 

Die Mutter will ihren Töchtern eine Stabilität geben, die die Umbrüche überdauert. Dem unzuverlässigen Vater bleibt eine letzte Chance, mit ihnen Momente zu verbringen, die sie nicht vergessen sollen. Das gelingt dem Schlingel, der jedermann einwickeln kann, verblüffend gut. Dabei sind die Mädchen kein willenloser Zankapfel, sondern reagieren unterschiedlich auf die Aussicht, Abschied nehmen zu müssen. 

Reynicke schafft eine filmische Stimmung des Gewährens, in der eine ungekannte, berückende Nähe entstehen kann. Der Suspense, den das Drehbuch gegen Ende schürt, erwächst weniger aus dem Bangen, ob Carlos sein Versprechen endlich erfüllt, die Ausreisepapiere zu unterschreiben. Vielmehr beruht er auf der Hoffnung, dass die Entzauberung in Einsicht umschlägt.

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