Kritik zu Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit
Yulia Lokshina untersucht mit einem ausgefeilten ästhetischen Konzept den Brennpunkt von kapitalistischer Ausbeutung und Fleischproduktion in Deutschland
Der Rhododendron hinter dem Fahrweg leuchtet im Zwielicht. Hinter den Fenstern der Campingwagen brennt Licht. Wie in einem Horrorfilm streift die Kamera um Büsche und Gartenmöbel auf eine sich gerade öffnende Tür. Dann Schnitt, heller Tag, und ein bulliger Mann mit Glatze führt durch das angeranzte Innere solcher Behausung bis zum verwühlten Schlafzimmer. »Hier kann ich super leben«, sagt er. Glücklicherweise sei der Nachbar auch Litauer, so könne man sich gemeinsam mit einer Kamera gegen die Bedrohung durch die benachbarten Bulgaren und Rumänen schützen.
Teile und herrsche auch hier. Doch im Werk schuften Bulgaren, Rumänen und andere Osteuropäer gemeinsam: für den Großschlachter und Wurstverarbeiter Tönnies und seine Subunternehmer in und um das ostwestfälische Rheda-Wiedenbrück. Dessen auf dem Dach rotierendes Logo (Schwein, Kuh und Bulle trotten fröhlich zum Schlachten) ist nach einem Corona-Ausbruch im Mai zum Symbol der miserablen Arbeits- und Wohnbedingungen der dortigen Leiharbeiter*innen geworden. Auch in Yulia Lokshinas Film kommt es vor. Doch die Münchener Regiestudentin hatte sich schon lange vor den Aktualitäten für die Sache interessiert, nachdem sie eine Pressenotiz über einen tödlichen Arbeitsunfall in einem Schlachtbetrieb gelesen hatte.
Bei der darauffolgenden Recherche konnte sich die in Moskau geborene Regisseurin sprachlich gut mit den Menschen der Belegschaften verständigen. Angst und Misstrauen gegenüber der Filmemacherin waren dennoch groß – erst Lokshinas Hartnäckigkeit und Ausdauer machten zumindest punktuelle Annäherungen möglich. Dazu fand sie in der Aktivistin Inge Bultschnieder eine starke lokale Protagonistin, die sich für bessere Lebensbedingungen bei Tönnies einsetzt. Sie führt durch den mosaikartig angelegten Film und ins Gespräch mit einigen der Arbeiter*innen, die eindringlich von der Arbeit unter enormem Zeitdruck, Lärm und Eiseskälte berichten. Dazu kommen atmosphärische Ansichten von Werk, Stadtleben und öffentlichen Auseinandersetzungen.
Eine kommentierende Funktion bekommt eine Münchener Schultheatergruppe, die sich unter pädagogischer Leitung Bertolt Brechts »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« aneignet. Eine für den Kontext nicht wirklich überzeugende Wahl, die uns zwar einiges über missglückte Didaktik und die Mentalität gelangweilter bayerischer Gymnasiasten erzählt, aber wenig über die entscheidenden Zusammenhänge. Eine einleuchtende Entscheidung dagegen, die Tätigkeit des Schlachtens und die Tiere selbst nur in zwei langen intermittierenden Kamerafahrt-Passagen als zu einem barocken Fandango tanzende Schweineschnauzen vorkommen zu lassen. So entgeht Lokshina den emotionalisierenden Effekten spontanen Ekels über die Brutalität der Tötung und den (im Dokumentarfilm schon oft gezeigten) blutigen Vorgang der Zerlegung. Dass sie das Firmengelände nicht mit der Kamera betreten durfte, mag mit ein Anlass für diese Wahl gewesen sein.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns